Beginnend mit einer Kolloquienreihe im Jahre 2007 begann das Bundeskriminalamt, auf Initiative des BKA-Präsidenten Joerg Ziercke, die Geschichte des Amtes kritisch zu reflektieren, insbesondere im Hinblick auf seine Gründungsphase. Besondere Aufmerksamkeit lag auf erkennbaren strukturellen und personellen Kontinuitäten und Brüchen in Bezug auf die Zeit des Nationalsozialismus. Thematischen und zugleich analytischen Ausgangspunkt bildeten dabei die Fragen, inwieweit die von Ralph Giordano aufgestellte These von der "zweiten Schuld", gemäß derer Teile der Elite des nationalsozialistischen Regimes quasi übergangslos in die Nachkriegsgesellschaft integriert wurden, auch auf das BKA zutrifft und ob auf diese Weise in der Zeit des sogenannten "Dritten Reiches" geprägte Denk- und Handlungsmuster bis in die Gesellschaft der frühen Bundesrepublik und deren Institutionen tradiert wurden. Insbesondere sollte aufgearbeitet werden, inwieweit hiervon Schlüsselpositionen betroffen waren, mit Folgen für die Aufgabenwahrnehmung der Behörde sowie die Konzeption und Praxis der Kriminalitätsbekämpfung.
Die Kolloquienreihe wurde 2008 dokumentiert in einem Sonderband der Buchreihe "Polizei+Forschung":
Das Bundeskriminalamt stellt sich seiner Geschichte (PDF, 3MB)
Um etwaige Verbindungslinien zum NS-Regime aufzuzeigen, wurde vom BKA ein Forschungsprojekt unter Leitung von Professor Dr. Wagner von der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg in Auftrag gegeben. Diese Aufarbeitung erfolgte in dem Bewusstsein, dass die spezifische Organisationsstruktur und Handlungspraxis einer Institution nur in Kenntnis ihrer Vergangenheit und ihrer Prägungen authentisch und verantwortlich gestaltet werden können.
Die zentralen Fragestellungen des Forschungsprojekts lauteten:
War die Geschichte des BKA im Hinblick auf Organisation und Organisationskultur durch etwaige Verbindungen im Sinne von Kontinuitäten zum NS-Regime geprägt? – Und wenn ja, in welcher Weise, wodurch und wie lange?
Ziel des Forschungsprojektes war es demzufolge, Strukturen, Denkmustern, Kontinuitäten und Brüchen in der Entwicklung des BKA von seiner Gründungsphase bis in die 80er Jahre des 20. Jahrhunderts vor dem Hintergrund entsprechender Entwicklungen in der NS-Zeit zu untersuchen.
Die ersten Resultate des Forschungsprojekts der Martin-Luther-Universität wurden von den Forschern bei einem Kolloquium am 6. April 2011 in Wiesbaden präsentiert und unter dem Blickwinkel diskutiert, welche Schlüsse das Bundeskriminalamt aus den Befunden der vorgelegten Forschungsergebnisse für die Zukunft ziehen könnte.
Präsident Jörg Ziercke betonte in seinem Begrüßungsvortrag, "dass es dabei nicht um Schuldzuweisungen gehe, sondern um Verantwortungsübernahme für unser Gemeinwesen im Bewusstsein unserer gemeinsamen Geschichte und der vor uns stehenden Aufgaben.
"
Die umfassende Dokumentation des Kolloquiums, der Diskussionen und Auseinandersetzungen mit den Ergebnissen des Forschungsprojekts erfolgte in einem Sonderband der Buchreihe "Polizei+Forschung":
Der Nationalsozialismus und die Geschichte des BKA - Spurensuche in eigener Sache (PDF, 4MB)
In einem weiteren Sonderband der Buchreihe "Polizei+Forschung" wurden letztendlich die gesamten Ergebnisse des Forschungsberichts publiziert:
Die Forschungsergebnisse können wie folgt zusammengefasst werden:
Das 1951 gegründete Bundeskriminalamt (BKA) rekrutierte einen Großteil seiner Beamtenschaft zunächst aus ehemaligen Angehörigen der nationalsozialistischen Polizei. Ein vom BKA 2008 in Auftrag gegebenes Forschungsprojekt ging vor diesem Hintergrund drei Fragen nach:
- Welchen Einfluss gewannen die im Amt reaktivierten NS-Polizisten auf seine Konzeptionen und seine Praxis?
- Wie prägten jene Erfahrungen, welche diese Polizisten vor 1945 gemacht hatten, das BKA?
- Wie wurde die NS-Vergangenheit eines Teils der Gründergeneration innerhalb des BKA thematisiert?
Das aus dem Forschungsprojekt hervorgegangene Buch zeigt, dass die im BKA eingestellten NS-Polizisten während der 1950er Jahre austesteten, inwieweit sie alte Konzepte würden fortführen können. In den 1960er Jahren gerieten diese Beamten unter wachsenden Anpassungsdruck: Die Staatsanwaltschaften führten umfangreiche Ermittlungen gegen ehemalige NS-Polizisten, darunter auch BKA-Mitarbeiter, wegen NS-Gewaltverbrechen durch. Zugleich stellte das Amt interne Nachforschungen zur NS-Vergangenheit seiner Beamten an. Auf den radikalen Umbau des Amtes in den 1970er Jahren besaßen diese Beamten keinen Einfluss mehr, zugleich aber ging im BKA das Bewusstsein für die mit ihnen verbundene historische Belastung verloren.
Letztlich haben die im BKA reaktivierten ehemaligen NS-Polizisten den Rechtsstaat nicht real gefährdet; gerade für die ehemaligen Opfer der NS-Polizei aber bleiben ihre Nachkriegskarrieren ein Skandal.
Ein wichtiges Anliegen ist, dass die Erkenntnisse aus dieser Forschungsarbeit den Eingang in die polizeiliche Ausbildung des gehobenen und höheren Vollzugsdienstes finden werden und so ein Beitrag für geschärftes Bewusstsein für die Verantwortung polizeilichen Handelns geleistet wird.