Bundesinnenministerin Nancy Faeser und BKA-Vizepräsidentin Martina Link haben das Bundeslagebild Sexualdelikte zum Nachteil von Kindern und Jugendlichen am 8. Juli 2024 vorgestellt. Das Lagebild umfasst Zahlen zu Straftaten des sexuellen Missbrauchs an Kindern und Jugendlichen sowie zur Verbreitung von Missbrauchsdarstellungen.
Zentrale Erkenntnisse
Im Jahr 2023 hat die Polizei erneut einen Anstieg bei Sexualdelikten zum Nachteil von Kindern und Jugendlichen festgestellt. Die Zahlen bewegen sich weiterhin auf einem sehr hohen Niveau – sie haben sich in den vergangenen fünf Jahren mehr als verdreifacht.
In vielen Fällen ist das Internet ein zentrales Tatmittel, etwa wenn die Täter Kontakte zu Minderjährigen über soziale Netzwerke anbahnen. Auch kann das Internet selbst zum Tatort werden, etwa bei Missbrauchshandlungen, die über Internet-Live-Streams geteilt werden. Bei diesem Phänomen, dem „Live Distance Child Abuse“, werden sexuelle Missbrauchshandlungen an Kindern – entweder durch sie selbst oder einen Dritten/eine Dritte (Hands-on-Straftäter oder -täterin) – vor der Webcam für einen dafür zahlenden, über Livestream zuschauenden Konsumenten oder Konsumentenkreis durchgeführt.
Eine Herausforderung für die Polizei bleibt das Dunkelfeld in diesem Phänomenbereich. Viele Taten werden verschwiegen, beispielsweise weil sie in einem familiären Umfeld stattfinden. Es bleibt weiter Aufgabe der Polizei, dieses Dunkelfeld „aufzuhellen“, indem die polizeiliche Arbeit weiter intensiviert wird. Nach Einschätzung des Bundeskriminalamtes gelingt dies zum Teil bereits, denn die Anzahl der Mitarbeitenden, die sich in den Polizeibehörden von Bund und Ländern mit Fällen des sexuellem Missbrauch an Minderjährigen befassen, ist in den vergangenen drei Jahren erhöht worden. Die steigenden Fallzahlen, die das „Bundeslagebild Sexualdelikte zum Nachteil von Kindern und Jugendlichen“ ausweist, sind ein Hinweis darauf, dass sich die polizeiliche Arbeit in diesem Phänomenbereich intensiviert hat – und aus diesem Grund mehr Fälle in die Polizeiliche Kriminalstatistik eingeflossen sind.
Statistische Grundlage der Bundeslagebilder des BKA
Die Bundeslagebilder des BKA basieren auf einer Auswertung der Daten der Polizeilichen Kriminalstatistik (PKS). In dieser werden die der Polizei bekannt gewordenen und von ihr endbearbeiteten Fälle, einschließlich der mit Strafe bedrohten Versuchstaten, bei Abgabe an die Staatsanwaltschaft erfasst.
In der PKS wird das polizeiliche Hellfeld abgebildet, also die von Ermittlungsbehörden, Opfer oder andere Personen angezeigten Taten. Schwankungen im Anzeigeverhalten beeinflussen deshalb die Statistik. Angereichert werden die Lagebilder mit weiteren Zahlen aus Bund und Ländern, die das BKA jeweils gesondert erhebt und in den Lagebildern entsprechend kennzeichnet. Hinzu kommen Lageeinschätzungen der Expertinnen und Experten des BKA aus den jeweiligen Fachbereichen.
Unter folgendem Link finden Sie Informationen zur Polizeilichen Kriminalstatistik: www.bka.de/PKS
Sexueller Missbrauch von Minderjährigen
Das Bundeslagebild zeigt auf, wie viele Fälle von sexuellem Missbrauch an Kindern und Jugendlichen im jeweiligen Berichtsjahr verzeichnet wurden.
Sexueller Missbrauch von Kindern
Die Zahl der registrierten Fälle des sexuellen Missbrauchs zum Nachteil von Kindern ist im Berichtsjahr um 5,5 Prozent im Vergleich zum Vorjahr auf 16.375 Fälle angestiegen. Seit der Strafrechtsreform 2021 wird der sexuelle Missbrauch von Kindern als eigenständige Strafrechtsnorm erfasst. Bei acht der zehn unterschiedlichen betrachteten Strafnomen ist eine Steigerung der Delikte zu sehen. Die meisten Delikte wurden in bevölkerungsstarken Ländern mit großen Ballungsräumen, wie Nordrhein-Westfalen oder Bayern, verzeichnet.
Es wurden 11.900 Tatverdächtige registriert, davon waren 94,0 Prozent männlich.
Insgesamt wurden im Jahr 2023 18.497 Opfer des sexuellen Missbrauchs von Kindern registriert. Der Anteil der weiblichen Opfer war 75,6 Prozent, der Anteil der männlichen Opfer lag bei 24,4 Prozent.
Mit 55,0 Prozent hatten über die Hälfte der Opfer nachweislich eine Vorbeziehung zu dem oder der Tatverdächtigen. Gab es diesen vorherigen Kontakt nicht, entstand dieser meist durch Grooming-Sachverhalte. Dabei werden Kinder gezielt angesprochen, um sexuellen Kontakt aufzubauen.
Was ist Cyber-Grooming?
Wenn sich Kinder und Jugendliche in sozialen Medien bewegen, dort chatten oder Nachrichten austauschen, sind sie der Gefahr des Cybergrooming ausgesetzt. Darunter versteht man die Anbahnung von sexuellen Kontakten mit Kindern und Jugendlichen im Internet. Dieser Straftatbestand wird mit Freiheitsstrafen von bis zu fünf Jahren geahndet.
Mehr Informationen dazu finden Sie unter www.bka.de/cyber-grooming
Sexueller Missbrauch von Jugendlichen
Im Berichtsjahr stieg die Anzahl der Fälle des sexuellen Missbrauchs zum Nachteil von Jugendlichen um 5,7 Prozent auf 1.200. Auch hier wurden die meisten Fälle in bevölkerungsstarken Ländern mit großen Ballungsräumen festgestellt wie beispielsweise Nordrhein-Westfalen oder Niedersachsen.
Die Zahl der Opfer stieg um 5,5 Prozent auf 1.277 Jugendliche. Die Mehrheit der Opfer war mit 78,0 Prozent weiblich und 22,0 Prozent männlich. Auch hier bestand mit knapp 60,0 Prozent in den meisten Fällen eine Vorbeziehung zu der tatverdächtigen Person.
Im Vergleich zum Vorjahr stieg die Zahl der registrierten Tatverdächtigen um drei Prozent auf 953. Mehr als 90,0 Prozent der Tatverdächtigen handelten alleine. Hier dominierte das männliche Geschlecht mit einem Anteil von 92,2 Prozent. Damit handelten männliche Tatverdächtige deutlich häufiger alleine als weibliche, deren Anteil bei 60,9 Prozent lag.
Häufig hatten die Tatverdächtigen ihren Wohnsitz in der Tatortgemeinde (62,7 Prozent). Der übrige Teil wohnte im Landkreis oder im selben Bundesland. Überörtlich agierende Tatverdächtige spielten mit einem Anteil von insgesamt 8,8 Prozent nur eine untergeordnete Rolle.
Missbrauchsdarstellungen von Kindern und Jugendlichen
Die Herstellung und Verbreitung von Missbrauchsdarstellungen sind genauso strafbar wie der Erwerb und der Besitz solcher Bilder und Videos. Dazu gehören auch fiktive kinderpornografische Darstellungen, etwa aus Comics oder Videospielen. Ebenso können Inhalte, die mit künstlicher Intelligenz hergestellt wurden, strafbar sein.
Herstellung, Verbreitung, Erwerb und Besitz kinderpornografischer Inhalte
Die Anzahl dieser Fälle ist in den letzten Jahren kontinuierlich angestiegen und erreichte im Berichtsjahr einen neuen Höchstwert mit 45.191 Fällen (+ 7,4 Prozent) bei 37.464 Tatverdächtigen (+ 2,9 Prozent). Am häufigsten wurden Fälle der Verteilung kinderpornografischer Inhalte und des Besitzes oder Sich Verschaffens kinderpornografischer Inhalte festgestellt.
Der Hauptgrund für die steigenden Fallzahlen sind Veränderungen im Online-Kommunikationsverhalten: Es gibt nicht nur mehr internetfähige Endgeräte und schnellere Datenverbindungen, sondern auch immer neue Kommunikations-Apps. Hinzu kommt die zunehmende Nutzung von Video-Telefonie, die die Täter beispielsweise dazu nutzen, ihre Opfer im direkten Gespräch zu sexuellen Handlungen zu nötigen.
Hinweisbearbeitung im BKA
Das BKA erhält als Zentralstelle täglich hunderte Meldungen des National Center for Missing and Exploited Children (NCMEC). Im Jahr 2023 gingen rund 180.300 Hinweise ein, 32,0 Prozent mehr als im Jahr zuvor. Knapp die Hälfte dieser Meldungen (rund 89.350 Hinweise) waren nach deutschem Recht strafrechtlich relevant.
Das gestiegene Hinweisaufkommen über das NCMEC ist eine Ursache für den deutlichen Anstieg der Fallzahlen.
Zusammenarbeit des BKA mit dem National Center for Missing and Exploited Children (NCMEC)
Das NCMEC ist eine US-amerikanische Organisation, die Fälle von vermissten oder ausgebeuteten Kindern bearbeitet. Unter anderem prüft sie Hinweise von Internetanbietern und Serviceprovidern auf kinder- und jugendpornografische Inhalte und leitet diese an die jeweils zuständigen polizeilichen Zentralstellen der Staaten weiter, in denen die Straftaten mutmaßlich stattgefunden haben. In Deutschland ist das BKA als Zentralstelle für die Bearbeitung und die Weiterleitung der Erkenntnisse an die zuständigen Strafverfolgungsbehörden der Länder verantwortlich.
Herstellung, Verbreitung, Erwerb und Besitz jugendpornografischer Inhalte
Seit 2019 steigen die Fälle von Herstellung, Verbreitung, Erwerb und Besitz jugendpornografischer Inhalte stetig an. Im Jahr 2023 erreichten sie mit 8.851 Fällen und einem Anstieg von rund 30,0 Prozent zum Vorjahr einen Höchstwert. Darunter fallen alle Abbildungen von Personen im Alter von 14 bis einschließlich 17 Jahren.
Betrachtet man die Altersstruktur der 8.030 ermittelten Tatverdächtigen, ist zu erkennen, dass der größte Anteil mit 43,1 Prozent auf die Altersgruppe der 14- bis 17-Jährigen entfällt. Somit ist der größte Anteil der Tatverdächtigen selbst im jugendlichen Alter.
Ein Grund dafür ist, dass Minderjährige jugendpornografische Inhalte häufig unbedacht über soziale Netzwerke und Messengerdienste an Altersgenossen weiterleiten. Zudem stellt die Polizei immer häufiger sogenannte „Selbstfilmer“ fest. Sie fertigen pornografische Aufnahmen (u. a. mit sexuellen Handlungen) von sich selbst an – was zunächst nicht strafbar ist. Wenn die Minderjährigen jedoch damit beginnen, die selbst hergestellten Inhalte zu verbreiten – etwa über soziale Medien – kann dies eine Straftat darstellen.
Sexuelle Ausbeutung von Minderjährigen
Das Bundeslagebild erfasst auch Zahlen zur sexuellen Ausbeutung von Kindern und Jugendlichen. Dabei handelt es sich beispielsweise um Fälle, bei denen Kinder zum sexuellen Missbrauch angeboten werden, aber auch Menschenhandelsdelikte mit dem Zweck der sexuellen Ausbeutung.
Im Jahr 2023 wurden im Bereich der sexuellen Ausbeutung von Kindern und Jugendlichen 401 Fälle von der Polizei erfasst. Dies stellt einen Rückgang von 12,6 Prozent im Vergleich zum Vorjahr dar. Die Zahl der Opfer sank um 14,1 Prozent auf 504.
Eine mögliche Erklärung für den Rückgang der Zahlen sind die Auswirkungen der Covid-19-Pandemie. Durch die in dieser Zeit vorherrschenden Einschränkungen wie Kindertagesstätten- oder Schulschließungen erhöhten sich die Tatgelegenheiten. Zudem erhöhten sich die Zeitspannen, die Kinder und Jugendliche täglich im Internet verbrachten – was es den Tätern erleichterte, Kontakte zu möglichen Opfern herzustellen. Dementsprechend waren die Fallzahlen zunächst angestiegen, während sie nun wieder sinken und fast das Niveau von vor der Covid-19-Pandemie erreicht haben.
Aufgaben des Bundeskriminalamtes
Im Bundeskriminalamt werden täglich hunderte Hinweise auf Missbrauchsdarstellungen gesichtet und bewertet. Die Mitarbeitenden prüfen, ob die Bilder und Videos strafbar sind. Dann stellen sie fest, wo die Tat mutmaßlich begangen wurde, tragen die verfügbaren Daten zusammen und übergeben die Fälle an die zuständigen Landespolizeibehörden für weitere Ermittlungen. Bei herausragenden Fällen von sexuellem Missbrauch an Kindern und Jugendlichen ermittelt das BKA selbst. Dafür wurden in den vergangenen drei Jahren die personellen Kapazitäten erhöht. Insbesondere bei technisch anspruchsvollen Verfahren – etwa Ermittlungen im so genannten Darkweb – ist das Bundeskriminalamt im Einsatz.
Neben Strafverfahren, die sich gegen einzelne Missbrauchstäter richten, liegt ein Schwerpunkt des BKA auf der Zerschlagung von kriminellen Strukturen, die bei der Verbreitung von Missbrauchsdarstellungen eine Rolle spielen. So geht das BKA regelmäßig gegen Administratoren von Darknet-Plattformen vor, auf denen Abbildungen und Videos von sexualisierter Gewalt an Minderjährigen verbreitet werden. Ziel ist sowohl die Identifikation und strafrechtliche Verfolgung der Betreiber solcher illegalen Angebote als auch die Abschaltung solcher Bilder-Tausch- oder -Verkaufsplattformen.
Parallel zur polizeilichen Arbeit treibt das Bundeskriminalamt die polizeiliche Forschung in diesem Phänomenbereich voran, fördert den fachlichen Austausch zwischen den Polizeien des Bundes und der Länder und entwickelt Präventionsprojekte. Denn der Kampf gegen den sexuellen Missbrauch von Kindern und die Verhinderung der Verbreitung von Missbrauchsdarstellungen ist ein wichtiger Schwerpunkt für die Arbeit des BKA. Er wird daher auf verschiedenen Ebenen vorangetrieben.