Bundeskriminalamt (BKA)

Interview: "Polizei braucht eine digitale Revolution"

BKA-Präsident Holger Münch im Interview mit dem WESER-KURIER

WESER-KURIER: Von wem gehen aktuell die größeren Gefahren in Deutschland aus – von islamistischen Terroristen oder von Cyber-Kriminellen und Hackern?

Münch: Zunächst muss man feststellen: Deutschland ist ein sicheres Land. Die Kriminalitätsrate ist auf dem niedrigsten Stand seit 25 Jahren. Wohnungseinbrüche sind beispielsweise deutlich zurückgegangen. Die Gefahr von islamistisch motivierten Anschlägen ist allerdings nach wie vor vorhanden. In den vergangenen zwei Jahren konnten die deutschen Sicherheitsbehörden mehrere Anschläge verhindern. Das zeigt: Die deutschen Sicherheitsbehörden sind gut aufgestellt! Es zeigt aber auch, dass Deutschland nach wie vor im Fadenkreuz von Terroristen steht. Wie in Straßburg in der vergangenen Woche, greifen Terroristen dabei oft sogenannte weiche, symbolische Ziele an. Sie wollen Angst verbreiten und unsere Art zu leben beeinträchtigen. Die Wahrscheinlichkeit, Opfer eines terroristischen Anschlags zu werden, ist allerdings nach wie vor sehr gering und die Sicherheitsbehörden tun alles, um solche Anschläge zu verhindern.

WESER-KURIER: Cyber-Kriminalität ist natürlich viel weiter verbreitet.

Münch: Ja, die Gefahr, Opfer einer Cyberstraftat zu werden wird eher größer als kleiner. Zum einen spielt sich Kriminalität immer häufiger im Netz ab. Beispiele sind Kinderpornografie oder illegale Marktplätze, auf denen Waffen oder Rauschgift gehandelt werden. Zum anderen bieten sich durch die Digitalisierung aller Lebensbereiche immer neue Angriffsmöglichkeiten für Kriminelle. Digitale Erpressungen oder der Zusammenschluss von Geräten zu Botnetzen, mit denen DDos-Attacken ausgeführt werden, sind Beispiele hierfür. Neben Privatpersonen stehen dabei auch Unternehmen im Fokus von Kriminellen. Mehr als die Hälfte der Unternehmen in Deutschland sind beispielsweise in den vergangenen beiden Jahren Opfer von Wirtschaftsspionage, Sabotage oder Datendiebstahl geworden. Die Zahl dürfte sogar noch höher liegen, denn: zahlreiche Unternehmen bemerken einen Cyberangriff spät oder auch gar nicht. Klar ist: Die Bedrohung aus dem Cyberraum ist real. Daher müssen wir künftig noch mehr in die Abwehr dieser Gefahren investieren. Dazu müssen wir unsere Kompetenzen ausbauen, im föderalen Verbund, aber auch international. Wir brauchen eine digitale Revolution in der Polizei, und dabei spielt das BKA als Zentralstelle eine entscheidende Rolle.

 WESER-KURIER: Zur Bekämpfung der Cyber-Kriminalität brauchen Sie IT-Experten, aber die sucht gerade jeder. Wie überzeugen Sie diese gefragten Spezialisten davon, zur Polizei zu gehen, wenn sich doch anderswo viel mehr Geld verdienen lässt?

Münch: Nicht jeder schaut nur auf ein möglichst gut gefülltes Bankkonto. Junge Menschen wollen auch eine sinnstiftende und erfüllende Aufgabe. Und genau die bieten wir. Natürlich können wir in der Bezahlung nicht mit großen internationalen Firmen konkurrieren. Aber der Job im BKA bietet Sicherheit und ist gleichzeitig enorm abwechslungsreich. Als Cyber-Analyst beim BKA mit den Ermittlern den Administrator eines illegalen Marktplatzes zu identifizieren oder gemeinsam mit dem FBI, mit Europol oder Scotland Yard in internationalen Ermittlungen unterwegs zu sein, das ist eine reizvolle Aufgabe für viele IT-Experten. Wir haben bislang noch alle Stellen besetzen können. Und die Fluktuation ist niedrig.  

WESER-KURIER: Wie sind Sie hier personell ausgestattet?

Münch: Derzeit ist der Bereich Cybercrime mit mehr als 100 Mitarbeitern Teil der Abteilung Schwere und Organisierte Kriminalität im BKA. Wir wollen den Ressourceneinsatz in den nächsten Jahren mehr als verdoppeln und werden dafür eine eigene Abteilung aufbauen. Die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in dem Bereich sind ein neuer Typ von Ermittlerinnen und Ermittlern. Da werden auch schon mal Baseball-Caps getragen und man findet Chipstüten neben den Bildschirmen. Sie sind technikaffin, unglaublich engagiert und weltweit gefragt. Sie gehören auf ihrem Gebiet zu den Besten der Welt. 

WESER-KURIER: Es gibt beim BKA sogar „Cyber-Cops“. Was müssen wir uns darunter vorstellen?

Münch: Das BKA wird in den nächsten Jahren um rund 60 Prozent wachsen. Um zukunftsfähig zu bleiben, müssen und wollen wir daher auch bei der Personalgewinnung Neues ausprobieren. Wir haben beispielsweise jüngst unsere ersten Cyber-Kriminalisten – unsere Cyber-Cops – eingestellt. Diese müssen, was beispielsweise Sportlichkeit oder Gesundheit angeht, die gleichen Voraussetzungen erfüllen wie ein Kriminalbeamter, aber auch ein Informatik-Bachelorstudium vorweisen können. Nach einer polizeilichen Ausbildung werden die Cyber-Kriminalisten im Rang eines Oberkommissars beziehungsweise einer Oberkommissarin bei uns ihre Arbeit aufnehmen. Daneben stellen wir aber beispielsweise gerade auch Daten-Analysten ein. Sie übernehmen Aufgaben, die nicht zwingend ein Polizist übernehmen muss, etwa die Auswertung großer Datenmengen. Wir können so auch Menschen einstellen, die vielleicht nicht zehn Klimmzüge schaffen oder eine stärkere Brille tragen, aber Fähigkeiten mitbringen, die für uns wichtig sind und die vielleicht schon immer zur Polizei wollten. Für eine Handvoll Stellen solcher Daten-Analysten haben wir gerade über 600 Bewerbungen erhalten. Über mangelnden Zuspruch können wir uns also nicht beklagen.  

WESER-KURIER: Wie gut ist die Polizei insgesamt heute schon gewappnet gegen die Bedrohung aus dem Netz? Die Gefahren sind grenzüberschreitend, global, die Strukturen der Sicherheitsbehörden dagegen sehr kleinteilig und föderal.

Münch: Aus meiner Sicht geht föderal nur noch digital. Die föderale Polizei hat große Stärken, wenn es darum geht, vor Ort Entscheidungen zu treffen und auf lokale Veränderungen und Besonderheiten in der Kriminalitätslage zu reagieren. Gleichzeitig macht Kriminalität aber nicht an Ländergrenzen halt. Der Informationsaustausch und die Zusammenarbeit der Polizeien sind daher unentbehrlich. Ein Problem ist, dass die deutsche Polizei ihre IT-Infrastruktur in den vergangenen 60 Jahren dezentral aufgebaut hat. Deswegen haben wir heute einen Flickenteppich von Datentöpfen, unterschiedlichen Systemen und daraus resultierenden Schnittstellen. Das führt dazu, dass die Arbeitsaufwände groß sind und die Reaktionszeit, wenn wir an dem System etwas ändern wollen, zu lang ist. Das wollen wir ändern, indem wir eine einzige digitale Plattform für die deutsche Polizei schaffen. Diese soll Datenhaus der deutschen Polizei mit einer zentraler Datenhaltung, Entwicklungsplattform und Ort der digitalen Zusammenarbeit werden. Damit die Plattform ein Erfolg wird, müssen wir aber auch unsere Zusammenarbeit in der Polizei und unsere Einstellung hierzu ändern. Denn in Anbetracht der Dynamik unserer Zeit kann nicht mehr jeder alles selbst machen und es kann auch nicht alles mit jedem abgestimmt werden. Aus meiner Sicht sollten wir daher nach dem Prinzip der Themenführerschaft arbeiten. Dabei übernehmen beispielsweise einzelne Länder oder der Bund für ein Thema die Verantwortung, treiben die Entwicklung voran und stellen das Ergebnis dann allen – auf der gemeinsamen Plattform – zur Verfügung. Wenn Sie so wollen, erfinden wir damit die föderale Zusammenarbeit ein Stück weit neu und nutzen dafür die Möglichkeiten, die die Digitalisierung uns bietet.

WESER-KURIER: Wie ist da der Zeitplan?

Münch: Die ersten Elemente der digitalen Plattform wollen wir 2020 an den Start bringen. Bis dahin müssen wir vor allem fachliche Fragen lösen: Zum Beispiel, wie wir die Rollen und Berechtigungen von rund 260.000 Polizisten in Deutschland festlegen, die alle auf diese Plattform zugreifen sollen. Das ist wie eine Mega-Fusion, die wir stemmen müssen, und das ist alles andere als trivial.

WESER-KURIER: Sind die Strafen hart und abschreckend genug, die Cyber-Kriminelle befürchten müssen?

Münch: Die Strafandrohung bei Cyber-Delikten wird dem Unrechtsgehalt der Taten und dem enormen Schadenspotential, das sie bergen, nicht immer gerecht. Ein Beispiel: Wir konnten nach mehrmonatigen Ermittlungen den Täter festnehmen, der vor rund zwei Jahren für den Angriff verantwortlich war, der zum Absturz der Telekom-Router in Deutschland geführt hat. Er wurde in England festgenommen, nach Deutschland ausgeliefert und hier zu einem Jahr und acht Monaten Freiheitsstrafe auf Bewährung verurteilt. Diese Strafe halten wir für nicht zeitgemäß, wenn man bedenkt, welche kriminelle Energie hinter dieser Tat steckte und wie hoch der Schaden war. Wenn solche Cyber-Kriminelle mit ihren Angriffen kritische Infrastruktur treffen, können sogar Menschen sterben.

WESER-KURIER: Haben Sie Erkenntnisse, woher die Täter vor allem kommen?

Münch: Cybercrime ist internationale Kriminalität. Die kriminelle Server-Architektur ist in der Regel über die ganze Welt verstreut. Hinzu kommt, dass man heute kein IT-Experte mehr sein muss, um digitale Straftaten zu begehen, sondern sich diese Fähigkeiten auch in der sogenannten Underground Economy einkaufen kann.

WESER-KURIER: Wie weit ist der normale Streifenpolizist davon entfernt, alle digitalen Hilfsmittel zur Verfügung zu haben, die er für seine tägliche Arbeit bräuchte?

Münch: Das ist Teil der digitalen Transformation. Wenn jemand hier in Bremen in die Polizeiwache geht und eine Anzeige erstatten will, weil ihm Daten gestohlen worden sind, sollten alle Polizisten wissen, was zu tun ist. Bei der Komplexität der heutigen Zeit ist es aber kaum noch möglich, alles zu wissen und zu können. Daher müssen wir den Polizistinnen und Polizisten Hilfsmittel anbieten. Wir müssen beispielsweise Wege finden, wie sich mit überschaubaren Kosten und praktisch einfach händelbar in den lokalen Polizeidienststellen digitale Spuren sichern lassen. Denn wenn ein Opfer eine Drohung per SMS oder Messenger erhalten hat, sollte die Lösung nicht sein, das Handy zur Beweissicherung auf den Kopierer zu legen. Solche Hilfsmittel für die vielen verschiedenen Bereiche zu entwickeln kann ein einzelnes Bundesland wie Bremen allerdings nicht alleine schaffen – das geht nur im Verbund. Und es wird nicht über Nacht gehen, ein paar Jahre werden wir brauchen und die Entwicklung wird nie aufhören.