Bundeskriminalamt (BKA)

Interview: „Hasskriminalität gegen Journalisten“

BKA-Präsident Holger Münch im Interview mit dem Magazin „Nitro“ der Berliner Journalisten Verlagsgesellschaft

NITRO: Immer mehr Journalisten werden Opfer von Übergriffen bei der Berichterstattung. Hat das BKA einen Überblick, wie viele Übergriffe auf Journalisten es im Corona-Jahr 2020 in Deutschland gab. Falls nicht: Gibt es eine solche Statistik für frühere Jahre und stellen Sie eine steigende Tendenz fest?

Holger MÜNCH: Statistisch werden Straftaten zum Nachteil von Journalisten, die aus einer politischen Motivation heraus begangen werden, von den Polizeien der Länder erfasst und dem BKA über den „Kriminalpolizeilichen Meldedienst in Fällen Politisch motivierter Kriminalität“, kurz KPMD-PMK, gemeldet. Die Zuordnung einer Tat zu einem der politisch motivierten Phänomenbereich hängt von dem Tatmotiv, den Umständen der Tat sowie den erkennbaren ideologischen Tathintergründen ab.

2019 wurden insgesamt 177 politisch motivierte Angriffe auf Medien oder Medienvertreter erfasst. Die Mehrzahl der Delikte machte Beleidigungen, gefolgt von Nötigungen und Bedrohungen sowie Volksverhetzungen aus. Die deutliche Mehrzahl der Delikte, nämlich rund dreifünftel, wurde der Politisch motivierten Kriminalität-rechts zugeordnet.

Insbesondere eine Serie von Drohmails gegen Medienvertreter, welche den selbsternannten „Musikern des Staatsstreichorchesters“ zuzuordnen waren, sowie Körperverletzungsdelikte im Rahmen von demonstrativen Versammlungen, dominierten das Tatgeschehen.

Im Jahr 2020 sehen wir eine weitere deutliche Steigerung der Fallzahlen. Endgültige Zahlen können wir nennen, wenn die Erfassung abgeschlossen ist.

NITRO: Beunruhigt Sie als BKA Chef die Tatsache, dass die Gewalt gegen Journalisten weiter zunimmt – Morddrohungen und körperliche Angriffe an der Tagesordnung sind?

MÜNCH: Wir beobachten im letzten Jahr erhebliche Anstiege von fremdenfeindlichen, rassistischen und antisemitischen Straftaten und wir verzeichnen eine Welle von Hasskriminalität, darunter auch Morddrohungen und Gewaltaufrufe gegen Politiker, Personen des öffentlichen Lebens, aber auch gegen Polizisten oder Rettungskräfte in Ausübung ihrer Arbeit. Und eben auch eine ständig steigende Anzahl von Gewaltangriffen auf Medienvertreter – das ist besorgniserregend, keine Frage.

Es ist insgesamt ein Angriff gegen Personen, die für unsere demokratischen Grundwerte eintreten – auch auf eine freie, ungehinderte Presseberichterstattung, einer der Grundpfeiler unserer demokratischen Gesellschaft.

Solche Bedrohungen und Einschüchterungen können ein demokratiegefährdendes Ausmaß erreichen und müssen mit den Mitteln der wehrhaften Demokratie entschlossen bekämpft werden.

Wir als BKA intensivieren gemeinsam mit den Polizeien und Strafverfolgungsbehörden der Länder und in enger Zusammenarbeit mit unseren internationalen Partnern unsere Anstrengungen und entwickeln unsere Bekämpfungsstrategien gegen die Politisch motivierte Kriminalität fortlaufend weiter: Wegen der hohen Fallzahlen gilt unser besonderes Augenmerk dem Phänomenbereich der rechtsmotivierten politischen Kriminalität.

NITRO: Zu den ohnehin gewalttätigen und radikalen Gruppen kommen Verschwörungsnetzwerke, Impfgegner und Querdenker, die nicht nur auf der Straße gegen Journalisten mobil machen, sondern auch im Netz. Welche Mittel hat der Rechtstaat, um Gewalt gegen Journalisten schon im Vorfeld von Demos oder Veranstaltungen zu verhindern?

MÜNCH: Die Ereignisse in der jüngsten Vergangenheit haben gezeigt, dass verhetzende Äußerungen insbesondere in den Sozialen Netzwerken geeignet sind, Menschen in ihren politischen Ansichten sogar so weit zu beeinflussen, dass sie zu gewalttätigen Handlungen in der realen Welt bereit sind. Ein trauriges Beispiel etwa ist der Mord an Dr. Walter Lübcke.

Daher muss gegen Hass und Hetze im Netz ein klares Signal gesetzt werden. Straftaten müssen hier ebenso konsequent verfolgt werden wie in der realen Welt.

Hierzu gehört, dass wir die „roten Linien“ zwischen Meinungsfreiheit und Strafbarkeit klar benennen und durchsetzen. Denn Hass und Hetze haben in unserer Gesellschaft keinen Platz.

Das BKA wird mit der Einrichtung der „Zentrale Meldestelle für strafbare Inhalte im Internet (ZMI)“ einen wesentlichen Beitrag dazu leisten. Zentrale Neuerung: Die großen Sozialen Netzwerke mit mindestens zwei Millionen in der Bundesrepublik Deutschland registrierten Nutzern werden künftig verpflichtet sein, strafbare Inhalte an uns zu melden, die sie heute aufgrund von Beschwerden bereits löschen müssen. Wir werden zu diesen Meldungen eine Strafbarkeitsprüfung durchführen,  die Urheber strafrechtlich relevanter Hasspostings identifizieren und diese Erkenntnisse den Polizeidienststellen vor Ort zur Strafverfolgung zur Verfügung stellen. Ergeben sich aus den Meldungen Hinweise auf konkrete Bedrohungslagen, beispielsweise für Journalisten, werden diese Hinweise mit Priorität bearbeitet, um auch gefahrenabwehrende Maßnahmen einzuleiten. Auf diese Weise versetzen wir die örtlichen Sicherheitsbehörden zeitgerecht in die Lage, alle notwendigen Maßnahmen zum Schutz einer Person planen und organisieren zu können.

NITRO: Wie können Journalisten in konkreten Situationen bei der Ausübung ihrer Arbeit geschützt werden?

MÜNCH: Konkrete polizeiliche Maßnahmen zum Schutz von Personen sind immer abhängig vom Einzelfall und müssen situativ auf Grundlage einer Lage- und Gefährdungsbewertung getroffen werden. Das BKA erstellt solche Bewertungen in den verschiedenen Phänomenbereichen der Politisch motivierten Kriminalität regelmäßig. Die örtlich zuständigen Polizeibehörden berücksichtigen diese bei der konkreten Gefährdungseinschätzung im Einzelfall und setzen etwaige Schutzmaßnahmen dann sachverhaltsbezogen um.

NITRO: Die Bundesregierung hat im vergangenen Jahr angekündigt, dass das BKA künftig eine Zentralstelle für Meldungen von Plattformen wie Facebook zu rechtsextremer Hetze im Internet werden soll. Wie ist Ihre Behörde darauf vorbereitet?

MÜNCH: Wir bereiten uns mit Hochdruck auf die neue Aufgabe vor. Die Vorbereitungen zur Einrichtung einer „Zentralen Meldestelle für strafbare Inhalte im Internet“, kurz ZMI, sind weit fortgeschritten, die entsprechenden Abstimmungen mit weiteren beteiligten Behörden und Partnern auf Polizei- und Justizebene kommen sehr gut voran. Die Geschäftsprozesse in der ZMI sollen in erster Linie standardisiert und automatisiert und damit schnell und effizient gestaltet werden. Hierdurch kann das geschulte Personal gezielt für die unmittelbare strafrechtliche Bewertung und Bearbeitung der von den sozialen Netzwerken übermittelten Meldungen eingesetzt werden.

Straftaten, insbesondere Hasskriminalität sowie die Verbreitung von kinderpornografischen Inhalten, sollen so konsequent und effektiv verfolgt werden. Sobald das Gesetz zur Bekämpfung des Rechtsextremismus und der Hasskriminalität in Kraft tritt, plant das BKA eine Pilotphase. Die Ergebnisse dieser Pilotphase sollen die reibungslose Aufnahme des Wirkbetriebs ermöglichen.

NITRO: Braucht das BKA für die Einrichtung einer Zentralstelle zur Bekämpfung strafbarer Inhalte im Netz nicht sehr viel Personal? Wie viele Stellen für qualifiziertes Personal braucht das BKA – die Arbeit der Beamten ist ja sicher extrem rechercheintensiv.

MÜNCH: Für eine solche zusätzliche neue Aufgabe brauchen wir selbstverständlich auch Personal, die Stellen haben wir dafür vom Haushaltsgesetzgeber erhalten. Die Bewältigung dieser äußerst ressourcenintensiven Aufgabe kann nicht in einem Hau-Ruck-Verfahren von heute auf morgen gelingen, sondern bedarf eines mehrjährigen und stufenweisen Vorgehens, in dem die Kapazitäten bei Polizei und Justiz gleichzeitig mit den Meldepflichten aufwachsen müssen. Aber: Setzen wir diesen Prozess erfolgreich um, werden mit der Zeit auch die Zahlen zurückgehen. Weil die Täter merken: Der Rechtsstaat duldet ihre Hetze und ihren Hass im Internet nicht. Sie begehen kein Kavaliersdelikt, sondern strafbare Handlungen, die mit der zulässigen Härte des Gesetzes geahndet werden. Viele Schritte in diesem neuen Prozess werden digital und automatisiert ablaufen, um das zu erwartende Meldeaufkommen bearbeiten zu können. Die Vorbereitungen sind aufwändig, umfangreich und nicht trivial, aber wir sind der Überzeugung, dass die Anstrengungen es Wert sind.

NITRO: Mit welchen Strategien können Menschen „aufgehalten“ werden, die Journalisten im Netz durch Hetze und Hass bedrohen und das Internet als rechtsfreien Raum betrachten?

MÜNCH: Der Aufbau der Zentralstelle bettet sich ein in eine Gesamtstrategie, die wir mit unseren polizeilichen Partnern in den Bundesländern verabredet haben und schrittweise umsetzen. Wir sprechen von einem sogenannten Drei-Ebenen-Modell, welches aus einem personenorientierten Ansatz, einer verbesserter Netzwerkerkennung und einer umfassenden Strategie zur Bekämpfung der Hasskriminalität im Internet besteht.

Um das Risiko, dass von bekannten Personen ausgeht besser einschätzen und zielgerichtetere Maßnahmen treffen zu können, übernehmen wir Instrumente, die wir im Bereich des islamistischen Terrorismus einsetzen in angepasster Form. Konkret handelt es sich insbesondere um das Bewertungsinstrument RADAR und die Arbeitsgruppe „Risikomanagement“. Um uns unbekannte Personen, Personenverbindungen oder gar Strukturen und Netzwerke besser zu erkennen, bauen wir unter anderem unsere Ermittlungskapazitäten für entsprechende Verfahren aus.

Die dritte Ebene ist die der Bekämpfung von Hasskriminalität im Internet. Die schon genannte „Zentrale Meldestelle für strafbare Inhalte im Internet“ im Bundeskriminalamt wird ein wichtiger Baustein sein, um Hinweisen auf Hass und Hetze im Internet nachzugehen und die Täter strafrechtlich zu verfolgen. Aber auch den Ausbau des Monitorings im Internet sowie die Ausweitung der Internetermittlungen möchte ich hier nennen.

Dazu stärken wir im BKA unser Personal in den fraglichen Bereichen, bündeln unsere Kompetenzen und bauen sie aus. Unsere Abteilung Polizeilicher Staatsschutz haben wir im Herbst letzten Jahres entsprechend umorganisiert. Und wir werden uns, wo immer es sinnvoll und möglich ist, für eine ganzheitliche Bekämpfungsstrategie einsetzen: in enger Zusammenarbeit mit den anderen Strafverfolgungsbehörden, mit der Wissenschaft und Wirtschaft sowie mit den relevanten Akteuren der Zivilgesellschaft.

NITRO: Welche Möglichkeiten hat das BKA, Unternehmen und Plattformen zu verpflichten, strafbare Inhalte nicht nur zu löschen, sondern die Inhalte und die IP-Adressen an das BKA zur Strafverfolgung weiterzuleiten.

MÜNCH: Der Gesetzgeber hat zwischenzeitlich die Rahmenbedingungen mit dem Gesetz zur Bekämpfung des Rechtsextremismus und der Hasskriminalität mit Änderungen des Netzwerkdurchsetzungsgesetzes (NetzDG) und des Bundeskriminalamtsgesetzes (BKAG) geschaffen. Auf dieser Grundlage werden die Anbieter großer Sozialer Netzwerke, sobald das Gesetz in Kraft tritt, verpflichtet, bestimmte strafbare Inhalte im Internet nicht mehr nur zu löschen und zu sperren, sondern dem BKA zu melden. Das Gesetz regelt, welche Informationen die Telemediendienstanbieter dem BKA übermitteln müssen, um eine Identifizierung des Täters zu ermöglichen. Darin werden dann auch die Vorgaben des Bundesverfassungsgerichtes zur Erhebung von Bestandsdaten berücksichtigt. Das BKA wird hier als Zentralstelle tätig, stellt bei erkennbarem Anfangsverdacht die zuständige Strafverfolgungsbehörde fest und leitet den Vorgang dann dorthin zur Bearbeitung.

NITRO: Meinen Sie, dass Journalisten mit dem Netzwerkdurchsetzungsgesetz besser geschützt werden können und, dass gleichzeitig der Schutz von Informanten garantiert wird?

MÜNCH: Von dem Gesetz zur Bekämpfung des Rechtsextremismus und der Hasskriminalität und der darin enthaltenen Novellierung des NetzDG wird eine Signalwirkung ausgehen, dass der Rechtsstaat bei Hass und Hetze im Internet nicht tatenlos zusieht und durch eine konsequente Strafverfolgung der Täter die Opfer stärker schützt. Das kommt auch der Arbeit von Journalistinnen und Journalisten zugute. Im Ermittlungsverfahren gelten aber selbstverständlich auch weiterhin die speziellen Regelungen für Berufsgeheimnisträger.

NITRO: Die Polizei ist, oft ebenso wie Journalisten, Ziel von Gewaltangriffen von Reichsbürgen, Verschwörungstheoretikern oder Querdenkern und leider entsteht oft der Eindruck, dass es Polizeibeamte gibt, die auf dem „rechten Auge“ blind sind. Wie kann das BKA, wie kann der Rechtsstaat hier gegensteuern?

MÜNCH: Alle Polizeibeamtinnen und Polizeibeamte tragen aufgrund ihrer Eingriffsbefugnisse eine besondere Verantwortung und eine besondere Verpflichtung: gegenüber dem Staat, dem Grundgesetz, der freiheitlich-demokratischen Grundordnung und den Menschen in unserer freien, demokratischen und offenen Gesellschaft. Ihre feste Verankerung auf dem Boden des Grundgesetzes muss über jeden Zweifel erhaben sein.

Das ist unser Kompass und unser Maßstab. Dem ist sich die große Mehrheit der Polizistinnen und Polizisten auch bewusst – aber leider nicht alle. Deshalb müssen wir diese Fälle konsequent verfolgen und aufklären und den Ursachen für solche Entwicklungen nachgehen. Denn nur mit Transparenz in den eigenen Reihen können wir dem in uns gesetzten Vertrauen gerecht werden.

Das BKA stellt deshalb besonders hohe Anforderungen an seine Mitarbeitenden in Bezug auf Charakter, Verantwortungsbewusstsein, Besonnenheit, Rechtsstaatlichkeit, Transparenz und die Bereitschaft, sich für alle Menschen einzusetzen.

Wir achten darauf, wen wir ins BKA holen. So werden alle Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter schon bei der Einstellung und danach in regelmäßigen Abständen erneut sicherheitsüberprüft. Wir investieren aber auch fortlaufend in die Werteorientierung unserer Beschäftigten – das bedeutet für uns: hinschauen, reflektieren, reagieren und im Ernstfall auch hart durchgreifen.

Radikales und menschen- und demokratiefeindliches Gedankengut darf keinen Platz bei der Polizei haben. Das Vertrauen in die Professionalität und Integrität der Polizei ist für unsere Arbeit elementar und wir müssen es uns jeden Tag neu verdienen.

Denn: Die Antwort auf Hass, Ausgrenzung und Gewalt können wir nur gemeinsam geben. Das ist eine Frage des gesellschaftlichen Klimas und damit eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe. Ebenso wichtig sind beispielsweise Bildung und Prävention, um radikales Gedankengut gar nicht erst aufkommen zu lassen. Wir brauchen ein Miteinander, in dem alle für die Grundrechte und eine offene Gesellschaft zusammen einstehen.