Bundeskriminalamt (BKA)

Interview: „900 Haftbefehle dank geknackter Handy-Codes

BKA-Präsident Holger Münch im Interview mit „BILD am SONNTAG“

BILD am SONNTAG: Im Corona-Jahr 2020 nahm die Zahl der Straftaten stark ab, vor allem im ersten Lockdown. Wie ist die aktuelle Lage?

HOLGER MÜNCH: Dieser Trend setzt sich auch im Jahr 2021 fort - insbesondere bei den Delikten, bei denen sich durch Regelungen zur Eindämmung der Corona-Pandemie die Tatgelegenheitsstrukturen verändert haben. Dazu gehören etwa Eigentumsdelikte, wo wir in 2020 bereits einen Rückgang von knapp 8 Prozent verzeichneten und eine vergleichbare Entwicklung auch für das laufende Jahr erkennen. Ähnlich verhält es sich auch bei den Gewaltdelikten.

BILD am SONNTAG: Welche Delikte haben zugenommen?

MÜNCH: Einen starken Anstieg erwarten wir bei der Kriminalität im Cyberraum, etwa dem Computerbetrug. Hier registrierten wir in 2020 einen Anstieg um rund 10 Prozent und erwarten einen vergleichbaren Trend auch in diesem Jahr. Starke Zuwächse wird es beispielsweise auch im Bereich des Subventionsbetruges geben. Hier gehen wir von einer weiteren Verdopplung der Zahlen aus - nicht zuletzt durch Betrügereien im Zusammenhang mit Corona-Subventionen.

BILD am SONNTAG: Um welche Straftaten geht es im Netz?

MÜNCH: Neben den schon genannten Zuwächsen bei Straftaten im Cyberraum beobachten wir in 2021 einen deutlichen Anstieg der Fallzahlen bei Hasskriminalität. Deshalb ist es auch so wichtig, dass wir mit dem Netzwerkdurchsetzungsgesetz im kommenden Jahr die Strafverfolgung bei der Hasskriminalität verschärfen. Ebenfalls intensiv beschäftigt uns das Thema Kinderpornographie. Hier hatten wir 2020 bereits einen Anstieg der Fallzahlen von rund 50 Prozent registriert und allein in der ersten Jahreshälfte 2021 schon die Zahlen des letzten Jahres erreicht. Die Zahl der Hinweise, die wir auf solche Delikte bekommen, wird immer größer, die Zahl der zu führenden Verfahren steigt. Das Positive daran ist, dass wir das Dunkelfeld in diesem Bereich so weiter aufhellen.

BILD am SONNTAG: Gibt es genug Fahnder für immer mehr Verfahren?

MÜNCH: Die deutliche Zunahme solcher Fälle wird die Polizei zunehmend an Kapazitätsgrenzen bringen. Hier wird auch das BKA gefordert sein die Landespolizeien im Sinne eines Lastenausgleiches intensiver zu unterstützen, um Kinderpornografie weiterhin wirkungsvoll bekämpfen zu können.

BILD am SONNTAG: Den Behörden ist es gelungen, die verschlüsselten „EncroChat“-Handys von Schwerverbrechern zu knacken. Wie ist der aktuelle Ermittlungsstand?

MÜNCH: In Deutschland konnten durch den Zugriff auf die Daten aus der verschlüsselten Kommunikation bisher über 900 Haftbefehle vollstreckt, etwa 300 Schusswaffen sichergestellt und knapp 230 Millionen Euro an Vermögen gesichert werden. Bei den ermittelten Straftaten ging es insbesondere um Rauschgiftdelikte, weshalb wir dort in den nächsten Jahren einen deutlichen Schwerpunkt setzen werden. Große Sorge bereitet uns, dass wir bei der Auswertung der EncroChat-Daten auch festgestellt haben, dass jeder vierte Tatverdächtige bewaffnet war.