- Datum:18. Juni 2022
- Interview mit: BKA-Präsident Holger Münch
- Interviewer: Martin Lutz und Uwe Müller
Der Krieg in der Ukraine gehört zum jüngsten Aufgabengebiet des Bundeskriminalamtes. Sie sollen potenzielle Kriegsverbrechen aufklären. Wie viele Täter hat das BKA bereits ermittelt?
Holger Münch: Wir gehen allen Spuren nach, suchen Hinweisgeber und sammeln Beweise. Damit bereiten wir uns auf mögliche Anklagen gegen Personen, die mutmaßlich Verantwortung für Kriegsverbrechen in der Ukraine tragen, in Deutschland vor. Wir haben früher schon Täter ausfindig gemacht, die in Syrien und Ruanda gegen Völkerrecht verstoßen hatten und für entsprechende Anklagen vor deutschen Gerichten gesorgt. Solche Ermittlungen nehmen allerdings viel Zeit in Anspruch – oft dauert es Jahre oder Jahrzehnte, bis man die Verantwortlichen vor Gericht stellen kann.
Wie geht das BKA konkret vor?
Münch: Kriegsflüchtlinge aus der Ukraine werden über die Ermittlungen der deutschen Polizei informiert. Wer Auskunft geben kann und möchte, erhält in einem ersten Schritt einen von uns konzipierten Fragebogen. Dieser ist dann die Basis für weitere Ermittlungen wie beispielsweise Vernehmung von Zeugen und Opfern. Bisher haben wir eine dreistellige Zahl von Hinweisen erhalten. Zusätzlich werden Veröffentlichungen im Internet ausgewertet. All das geschieht im internationalen Austausch – etwa mit Europol, wo es eine Datenbank zur strukturierten Erfassung der Hinweise gibt.
Der Bundesnachrichtendienst hat Funksprüche russischer Soldaten mitgeschnitten, in denen freimütig über Gräueltaten an der Zivilbevölkerung berichtet wird. Erhält das BKA solches Material, wie verfahren Sie damit?
Münch: Wir bekommen von unseren Partnerdienststellen alle Informationen, die für eventuelle Strafverfahren relevant sind.
Ermitteln Sie ebenfalls in Richtung von militärisch und politisch Verantwortlichen?
Münch: Das ist der schwierigste Teil unserer Ermittlungen, eine komplexe Puzzlearbeit. Unser klares Ziel ist es, die für Gräueltaten Verantwortlichen zu identifizieren, ihre Taten durch unsere Ermittlungen nachzuweisen und sie vor ein Gericht zu stellen.
Ihr Auftraggeber ist der Generalbundesanwalt in Karlsruhe. Aber auch der Internationale Strafgerichtshof in Den Haag sammelt Beweise für Straftaten. In welcher Form unterstützt Deutschland das Gericht?
Münch: Wie die Polizeien kooperieren auch die Justizbehörden im europäischen Format, etwa über Eurojust, also die European Union Agency for Criminal Justice Cooperation. Informationen werden also sowohl auf Ebene der Polizei als auch auf Ebene der Justiz ausgetauscht.
Über 20 Staaten haben Ermittler in die Ukraine entsandt. Warum sind keine BKA-Mitarbeiter vor Ort?
Münch: Einzelne europäische Länder haben beispielsweise vor Ort in der Ukraine Tatorte dokumentiert und dabei geholfen, Tote zu identifizieren. Wir wurden um technische Unterstützung gebeten und sind dieser Bitte auch nachgekommen. Grundsätzlich kann ich mir vorstellen, dass das BKA auch vor Ort tätig wird. Dafür wäre aber zunächst ein internationales Mandat erforderlich, zudem müsste die Sicherheit unserer Mitarbeitenden gewährleistet sein.
Vom Innenministerium oder dem Kanzleramt gab es also keine Weisung, die es dem BKA untersagt hätte, sich in der Ukraine zu engagieren?
Münch: Nein, das ist unsere eigene fachliche Bewertung. Einsätze müssen einen konkreten Nutzen haben. Nehmen Sie das Beispiel Balkankriege: Als es möglich war, haben wir mit internationalen Partnern Gräueltaten vor Ort dokumentiert und ausgewertet und so zur Strafverfolgung von Kriegsverbrechern beigetragen.
Nach dem Weltrechtsprinzip können Kriegsverbrecher auch in Deutschland vor Gericht gestellt werden. Erwarten Sie, dass wir bald solche Prozesse erleben?
Münch: Das ist unser Ziel, auch wenn es lange dauern kann. Wir stehen was die Ermittlungen im Zusammenhang mit dem Krieg in der Ukraine betrifft erst ganz am Anfang. Der Generalbundesanwalt, in dessen Auftrag wir ermittelnd tätig sind, führt derzeit ein Strukturermittlungsverfahren, aber noch keine Verfahren gegen einzelne Verdächtige. Aber am Ende wollen wir natürlich Täter zur Rechenschaft ziehen.
Das Bundeskriminalamt ist auch den Gefolgsleuten von Putin auf der Spur. Warum sind die Briten und Italiener erfolgreicher bei der Sicherstellung von Vermögen der Oligarchen als die Deutschen?
Münch: Das Bild halte ich für nicht zutreffend. Das BKA arbeitet beispielsweise in einer Task Force mit, in der mehrere Behörden vertreten sind. Wir können dort fachlich viel einbringen, denn das BKA verfügt etwa mit diversen Finanzdatenleaks und Daten aus Ermittlungsverfahren im Bereich der russischen Organisierten Kriminalität über einen Informationsschatz. Sie zeigen, wie kriminelle Strukturen es über Briefkastenfirmen schaffen, beispielsweise inkriminierte Gelder zu waschen, Steuern zu hinterziehen und Sanktionen zu umgehen. Diese Datensätze werten wir nun auch im Hinblick auf sanktionsgelistete Personen aus Russland aus – und stellen die Informationen auch anderen europäischen Behörden zur Verfügung. Darüber hinaus konnten wir aufgrund unserer Erkenntnisse Anregungen zur Erweiterung der Sanktionsliste machen.
Trotzdem sind die Erfolge bescheiden. Wie das Finanzministerium mitteilte, habe der Wert der in Deutschland konfiszierten Vermögen 143 Millionen Euro betragen, mit Stand vom 23. Mai. Für Oligarchen sind das Peanuts.
Münch: Neben reinen Geldmitteln auf Konten, für deren Einfrieren die Banken zuständig sind, wurden auch Sachwerte eingefroren. Konkret haben wir beispielsweise die Yachten „Dilbar“ und „Luna“, die wir verschiedenen Oligarchen zuschreiben, eingefroren, die alleine einen geschätzten Wert von knapp einer Milliarde Euro haben.
Gibt es belastbare Informationen darüber, wie hoch die in Deutschland gehaltenen Vermögen von Oligarchen sind?
Münch: Informationen zu Vermögenswerten liegen oft an den verschiedensten Stellen und nicht vernetzt vor. Wenn wir etwa prüfen wollen, welche Immobilien eine festgestellte Briefkastenfirma hält, müssen wir bei zahlreichen Stellen nachfragen. Das ist extrem aufwändig und fehleranfällig. Daher sind aus unserer Sicht beispielsweise auch Pläne des Gesetzgebers für ein zentrales Immobilienregister sinnvoll. Allgemein gilt: das Thema Finanzermittlungen wird immer wichtiger – und zwar in allen Deliktsbereichen. Denn das Verfolgen von Geldströmen ist oft ein lohnenswerter Ermittlungsansatz, in der klassischen analogen Welt aber auch bei Krypto-Währungen.
Oligarchen können ähnlich wie Täter aus der Organisierten Kriminalität ihren Besitz denkbar leicht verschleiern. Oft genügt eine Briefkastenfirma auf Zypern oder eine Ehefrau – und schon sind die deutschen Behörden schachmatt. Frustriert Sie das nicht?
Münch: Je professioneller Kriminelle arbeiten, desto häufiger greifen sie auf Strategien der Verschleierung zurück. Das kann aber auch eine Chance für die Ermittlungsbehörden sein, wenn wir diese Informationen heben. Denken Sie etwa an die diversen Datenleaks oder den Krypto-Messengerdienst Encrochat, der international zur Planung und Durchführung von Straftaten genutzt wurde. Nachdem es ausländischen Behörden gelungen war, in diese verschlüsselte Plattform einzudringen, konnten bislang rund 3000 in Deutschland ansässige Nutzer identifiziert werden.