Bundeskriminalamt (BKA)

Interview: "Es gibt eine Verschiebung hin zur digitalen Kriminalität"

BKA-Präsident Holger Münch im Interview mit WamS/Welt.de/WELT

Querdenker und Rechtsextreme tummeln sich bei Telegram, einem Messengerdienst der Anonymität verspricht und damit vor Strafverfolgung schützt. Trifft es zu, dass der Dienst jetzt erstmals Nutzerdaten an das BKA herausgegeben hat?

Holger Münch: Telegram setzt unsere Anregungen zum Löschen strafbarer Inhalte in hohem Maß um. Unsere Anfragen zu Nutzerdaten wurden bisher allerdings nur in wenigen herausragenden Sachverhalten beantwortet. In einem Rechtsstaat dürfen aber nicht Diensteanbieter entscheiden, was strafrechtlich verfolgt wird und was nicht.

Wenn Dienste sich weiterhin verweigern, wäre die Ultima Ratio eine Abschaltung?

Münch: Es muss klar sein, dass es bereits jetzt eine Verpflichtung zur zeitnahen Beauskunftung gibt. Wenn dem nicht nachgekommen wird, könnte man beispielsweise auch mit entsprechenden Geldbußen reagieren.

Im Februar sollte eine neue Kontollinstanz für das Internet loslegen, die beim BKA angesiedelte Zentrale Meldestelle für strafbare Inhalte. Warum hat das nicht geklappt?

Münch: Einige Social Media Anbieter haben gegen die Meldepflicht nach dem NetzDG geklagt und eine einstweilige Verfügung erwirkt. Deshalb haben wir, um dennoch zu starten, zwischenzeitlich Teile dezentraler Meldestrukturen, die in den Bundesländern zur Bekämpfung von Hass und Hetze im Internet bereits bestehen, beim BKA zentral zusammengeführt. Wir arbeiten hier auch mit Nichtregierungsorganisationen zusammen. Zugleich bereiten wir uns so auch schon auf das Inkrafttreten des europäischen Digital Service Act vor und etablieren die Prozesse, die wir als Zentrale Meldestelle für die deutsche Polizei zur Bekämpfung von Hass und Hetze im Internet brauchen. 

Mit dieser Aufgabe sollen in der Zentralstelle bis zu 200 Mitarbeiter betraut werden. Was versprechen Sie sich davon?

Münch: Unsere Aufgabe als Zentrale Meldestelle ist es, die digitalen Meldungen auf strafrechtliche Relevanz sowie hinsichtlich möglicher Gefährdungsaspekte zu prüfen, nach Möglichkeit den mutmaßlichen Verfasser festzustellen und sodann den Sachverhalt an die örtlich zuständigen Strafverfolgungsbehörden in den Bundesländern zur weiteren Bearbeitung zu übergeben. Hierdurch versprechen wir uns eine schnelle und effiziente Bearbeitung von Straftaten der Hasskriminalität im Netz und in der Folge auch Verhaltensänderungen.

Der Europäische Gerichtshof hat im April entschieden, dass die umstrittene Vorratsdatenspeicherung zur Bekämpfung schwerer Kriminalität eingesetzt werden darf. Sollte davon in Deutschland Gebrauch gemacht werden?

Münch: Für uns sind insbesondere die IP-Adressen eine wichtige Spur, um im digitalen Raum überhaupt Straftäter ermitteln zu können – oft stellen sie sogar den einzigen Ermittlungsansatz dar. Derzeit halten die Telekommunikationsunternehmen die Informationen zur IP-Adresse aber meist maximal eine Woche – oft sogar nur wenige Tage vor. Wir wären schon froh, wenn es in Deutschland eine Mindestspeicherfrist von zehn Wochen für IP-Adressen gäbe.

Gesetze sind das eine, die Infrastruktur das andere. Das Ziel, die polizeiliche IT zwischen Bund und Ländern anzugleichen und zu modernisieren, wurde bisher nicht erreicht. Woran hakt es?

Münch: Wir müssen raus aus dem föderalen Flickenteppich mit einer Vielzahl von unterschiedlichen Anwendungen und rein in eine einheitliche IT-Plattform-Lösung. Dort müssen Informationen und digitale Lösungen für alle Polizeibehörden bereitgestellt werden. Das ist ein hochkomplexes Vorhaben.

In Nordrhein-Westfalen läuft aktuell das Programm „Digitalisierung Polizei 2040“. Finden Sie nicht, dass das ein wenig nach St. Nimmerleinstag klingt?

Münch: Vor sechs Jahren wurde die Idee vom bundesweiten „Programm 2020“ ausgerufen. Im Jahr 2020 waren die Vorbereitungen abgeschlossen. Jetzt rollt der Zug. Erste vereinheitlichte Anwendungen stehen bereit und werden schrittweise bereitgestellt. Geplant ist ein zentrales Datenhaus für Bund und Länder in dem gemeinsam genutzte Anwendungen die Daten speichern. Ziel ist es, dass Informationen schneller zur Verfügung gestellt, miteinander abgleichen und ausgetauscht werden können und so die relevanten Informationen jedem Polizist und jeder Polizistin schnell zur Verfügung stehen.

Wann soll dieses Datenhaus fertig sein?

Münch: Bis 2030 soll nicht nur das Datenhaus im Betrieb sein, es sollen auch die zentralen Anwendungen stärker vereinheitlicht und ertüchtigt werden, um in dieses Datenhaus zu speichern.

In der Kriminalstatistik nimmt die Bedeutung analoger Straftaten ab. Stirbt der klassische Bankraub aus?

Münch: Die Kriminalität verlagert sich. In Bereichen der Eigentumskriminalität gingen die Fallzahlen in den letzten zehn Jahren um rund 37 Prozent zurück, die Cybercrimedelikte haben sich dagegen seit 2015 mehr als verdoppelt. Es gibt also erstens eine Verschiebung hin zur digitalen Kriminalität. Zweitens werden die Datenmengen immer größer. Und drittens vernetzen sich die Täter wesentlich stärker. Heute gibt es viel losere Täterstrukturen, die sich online und oft anonym zusammenfinden. Dies führt dann auch dazu, dass aus einem einzelnen Komplex sehr viele Fallzahlen entstehen. Ein Beispiel ist die Serie von Fällen von sexualisierter Gewalt gegen Kinder in Nordrhein-Westfalen, wie zuletzt in Wermelskirchen.

Wann werden die 320.000 Polizeibeschäftigten in Deutschland jederzeit und überall mobil Zugriff auf die Informationen haben und wie wird der digitale Polizist in Zukunft ausgestattet sein?

Münch: Dafür gibt es keinen Tag X, das ist ein Prozess. Außerdem gibt es nicht den einen Polizist oder die eine Polizistin. Im BKA haben wir etwa verschiedene Funktionen und Tätigkeiten  in Ausstattungsprofile zusammengefasst. Wer z.B. für mobiles Arbeiten ein Smartphone oder ein Laptop erhält. Mit dieser Standardisierung können wir die erforderliche Ausstattung zielgerichtet und schnell umsetzen. Denn ein Personenschützer des BKA braucht eine andere Ausstattung als eine Cybercrimermittlerin. Und bei Polizistinnen und Polizisten, die in der Streife eingesetzt sind, geht es etwa darum, Personalien oder Fingerabdrücke schnell mobil zu erfassen und Daten jederzeit vor Ort abfragen zu können.