Bundeskriminalamt (BKA)

BKA-Präsident Münch im Interview mit dem Redaktionsnetzwerk Deutschland

RND: Herr Münch, in Mannheim und Solingen wurden in den vergangenen Monaten vier Menschen bei islamistischen Terroranschlägen getötet. Müssen wir mit einer noch schlimmer werdenden Terrorwelle in Deutschland rechnen?

Wir haben eine angespannte Sicherheitslage. Die Gefahr auch durch den islamistischen Terrorismus ist nach wie vor hoch. Sie geht vor allem von allein handelnden Tätern und Kleingruppen aus, die durch Propaganda bewegt werden sollen, zur Tat zu schreiten. Im Zusammenhang mit anderen Ereignissen, die emotionalisieren, kann das Risiko dann nochmal steigen.

Was meinen Sie mit Ereignissen, die emotionalisieren?

Zum Beispiel die aktuelle Lage in Nahost. Oder Koran-Schändungen und Koran-Verbrennungen, wie wir sie im letzten Jahr gesehen haben. Das emotionalisiert ebenfalls sehr stark.

Die dschihadistischen Täter werden immer jünger. Wie erklären Sie sich das?

Die Islamisten – allen voran der sogenannte Islamische Staat - sind auf digitalen Plattformen unterwegs, um junge Menschen anzusprechen. Die Propaganda selbst wird immer mehr Social Media like: kürzer, prägnanter, mit mehr Bildern. Das wirkt bei jüngeren Menschen und ist das größte Risiko. Wir müssen da nicht nur mit polizeilichen Mitteln gegenhalten.

Was meinen Sie konkret?

Wir unterhalten eine Einheit im BKA, um terroristische Inhalte im Netz löschen zu lassen. Und wir haben allein in diesem Jahr über 11.000 solcher Links bei den Plattformbetreibern gemeldet und zur Löschung angeregt. Wenn wir Hinweise haben, dass strafrechtlich relevante Inhalte nicht gelöscht werden, dann dürfen wir Löschungen auch anordnen. Das haben wir 360-mal gemacht in diesem Jahr. Wir unternehmen also insgesamt große Anstrengungen, um die Verfügbarkeit strafrechtlich relevanter Inhalte zu reduzieren.

Kommen Sie bei der Flut an Hass und Hetze überhaupt nach?

Die Frage ist: Verlangsamen wir nur? Oder reduzieren wir tatsächlich? Das können wir, weil uns der Gesamtüberblick fehlt, gar nicht abschließend beurteilen. Es ist im Übrigen relativ einfach, strafbare Inhalte über neue Accounts wieder einzuspielen. Das Ganze ist also ein Hase- und Igel-Spiel. Und schließlich tragen Empfehlungs-Algorithmen zur Verbreitung bei.

Das klingt nicht so, als könnten Sie das Problem tatsächlich beherrschen . . .

Wir haben mit den Plattformen zwei Probleme: Erstens erledigen wir Aufgaben, die sie, wenn sie soziale Plattformen heißen wollen, selbst machen müssten - mit über 11.000 Löschungen, die wir anregen. Zweitens führen die Algorithmen zur Empfehlung ähnlicher Inhalte – je intensiver man diese konsumiert, desto mehr. So werden junge Leute mit hoher Geschwindigkeit in den Kaninchenbau gezogen. Nur landen sie nicht im Wunderland, sondern im Hassland. Das müssen wir auch auf der politischen Ebene anders beurteilen, im Sinne von Regulierung.

Also: Härter durchgreifen, neue gesetzliche Regelungen?

Absolut. Wir machen ja Erfahrungen mit dem Digital Services Act, der für die großen Online-Dienste bereits ein Jahr lang gilt. Demnach sind sie verpflichtet, strafrechtlich relevante Inhalte zu melden, wenn sie eine Gefahr für die Sicherheit oder das Leben einer Person sein können. Von diesen großen Online-Diensten haben wir innerhalb eines Jahres gerade mal 61 Meldungen bekommen.

Das ist lächerlich, oder?

Sie werden damit ihrer Verantwortung definitiv nicht gerecht. Und wir können ein anderes Verhalten gar nicht durchsetzen, weil es keine Bußgeldregelung gibt.

Das heißt, Sie brauchen mehr gesetzliche Klarheit, welche Sachverhalte und Daten zu melden sind. Und Sie wollen Konsequenzen für Betreiber, wenn sie keine Meldungen abgeben.

Ja. Zusätzlich muss die Regulierung erweitert werden auf die Empfehlungs-Algorithmen. Es kann nicht sein, dass Menschen nur einseitige Informationen bekommen, wenn sie eine bestimmte Information nachfragen. Dann wird Social Media zu einer Radikalisierungsschleuder.

Warum passiert das, was Sie sich wünschen, bisher nicht?

Die Bundesinnenministerin nimmt sich des Themas sehr wohl an. Problematisch ist, dass die Evaluierung des Digital Services Act erst 2026 erfolgen soll. Und da sagen wir beim BKA: So viel Zeit haben wir nicht. Das muss schneller gehen. Bisher kriegen wir die großen Anbieter nicht verpflichtet. Es gibt aber zum Beispiel einen kleinen Anbieter in Deutschland, der allein 500 Meldungen abgegeben hat. Man sieht also: Es geht, wenn man will. Wo Unternehmen nicht wollen, da muss man diesem Willen nachhelfen, auch mit Bußgeldern.

Die traditionellen Medien unterliegen dem Presserecht und gehen zudem freiwillig presseethische Regeln ein. Stellen Sie sich so etwas Ähnliches für Social Media vor?

Ich würde das eher vergleichen mit der Gesundheitsvorsorge. Stellen Sie sich vor, Sie säßen an der Spitze eines Lebensmittelkonzerns in Deutschland – und die Behörden müssten gesundheitsgefährdende Produkte in Ihren Regalen suchen, weil Sie das selbst nicht machen. Das ist doch unvorstellbar in der analogen Welt. Wir haben hier klar erkennbare Risiken für die Gesellschaft. Deshalb muss man für Social Media entsprechende Verpflichtungen einführen, dass die Anbieter selbst justiziable Inhalte, Hass und Hetze suchen, melden und löschen.

Sie klingen regelrecht wütend darüber, dass Sie die Folgen einer Entwicklung bearbeiten müssen, die in der Form vermeidbar wäre.

Ich bin nicht wütend. Aber ich bin sehr klar. Bei jeder technischen Neuerung gibt es immer Wirkung und Nebenwirkung. Hier müssen wir die Nebenwirkung klar benennen, um sie einzuhegen. Social Media muss so gestaltet werden, dass es die Gesellschaft nicht beschädigt, sondern am Ende die positiven Effekte überwiegen.

Im Zusammenhang mit den islamistisch motivierten Straftaten werden nun auch immer wieder Zahlen zur sogenannten Messerkriminalität angeprangert. Finden sich Straftaten durch Gewalt mit Messern tatsächlich überwiegend in der arabisch-islamischen Community?

Unsere Erkenntnisse dazu sind noch lückenhaft. Was wir sehen, ist ein allgemeiner Anstieg der Gewalt nach der Corona-Phase, gerade auch bei Kindern und Jugendlichen. Hinzu kommt, dass Messer häufiger mitgeführt oder eingesetzt werden. Deshalb ist es richtig, dass wir eine Diskussion darüber führen, ob Messer im öffentlichen Raum mitgeführt werden dürfen. Denn ein Messer in bestimmten Situationen verfügbar zu haben, kann zu erheblichen Verletzungen führen. Dieses Risiko zu minimieren, ist angebracht. Waffenverbotszonen können da helfen.

Lassen sich Messerverbote denn kontrollieren?

Allein die Tatsache, dass ich bei einer Kontrolle mit einem Messer erwischt werden und das Konsequenzen haben könnte, hat einen Effekt – wenn auch keinen 100-prozentigen.

Kommen Sie mit Ihrem Personal, Ihrer Ausstattung und Ihren Befugnissen der Kriminalitätsentwicklung eigentlich generell hinterher – etwa bei der schon erwähnten Internetkriminalität?

Zur Bekämpfung von Hass und Hetze haben wir unter anderem eine zentrale Meldestelle für Internetkriminalität eingerichtet. Und weil die Meldungen der großen Online-Dienste wie geschildert ausgeblieben sind, arbeiten wir mit verschiedenen freiwilligen Kooperationspartnern zusammen. Von ihnen nehmen wir Hinweise entgegen, prüfen die Strafbarkeit, stellen die Verursacher fest und leiten unsere Erkenntnisse dann an die Strafverfolgungsbehörden in den Ländern weiter. Das hat in den letzten drei Jahren Schwung aufgenommen. Im Vergleich zum Vorjahr werden sich die Eingänge in diesem Jahr voraussichtlich verdoppeln. Im letzten Monat waren es um die 3.400. Und die Qualität ist recht gut. Über 80 Prozent der Meldungen sind tatsächlich strafrechtlich relevant. In 88 Prozent der Fälle können wir die Verursacher ermitteln.

Aber?

Der Aufwand ist sehr hoch, insbesondere wenn es darum geht, den Account-Inhaber ausfindig zu machen. Wir könnten mit standardisierten Prozessen effektiver arbeiten. Dazu wiederum müssten die IP-Adressen von Online-Nutzern gespeichert werden, so dass wir sofort wüssten, von welchem Gerät die jeweilige Straftat begangen wurde.

Das ist mit der Ampel aber wegen der FDP nicht zu machen.

Wir werden trotzdem nicht müde zu betonen, dass wir die Speicherung der IP-Adressen im digitalen Zeitalter für erforderlich halten. Da geht es nicht nur um den Kampf gegen Hass und Hetze, sondern auch um andere Straftaten, die digital begangen werden. Wir sind jetzt bei 200.000 Hinweisen pro Jahr wegen des Verdachts auf sexuellen Missbrauch von Kindern und Jugendlichen. Hier haben wir eine Erfolgsquote von 75 Prozent. Auch die könnten wir noch deutlich steigern. Bei all diesen Ermittlungen geht es immer um die Frage: Wie alt ist die Spur? In vielen Fällen sind derzeit keine Daten mehr verfügbar. Eine zeitlich begrenzte Speicherung von IP-Adressen würde da sehr helfen.

Ein weiteres Problem ist die zunehmende Gewalt vornehmlich gegen Kommunalpolitiker. Wie sehr besorgt Sie das? Und was ist Ihre Prognose für das Bundestagswahljahr?

Wenn wir uns die Entwicklung in diesem Jahr anschauen, dann sehen wir nochmal eine deutliche Steigerung der Fallzahlen bei Straftaten gegen Amts- und Mandatstragende gegenüber dem letzten Jahr. Wir sehen, dass die Polarisierung weiter zunimmt – und dass auch von der linken Seite stärker Straftaten begangen werden. Wir haben beispielsweise von Anfang Mai bis Ende Juli 18 Körperverletzungen, gefährliche Körperverletzungen und Brandstiftungen gegen Mitglieder der AfD gezählt. Vertreter der Grünen werden zwar weiterhin am häufigsten attackiert. Aber die AfD folgt an zweiter Stelle.

Und das geht so weiter, meinen Sie?

Wie es weiter geht, hängt vom Verhältnis der Bevölkerung zur Regierung und anderen Entwicklungen ab, die wir schwer vorhersagen können. Wir sehen aber, was sich aus Corona, dem Ukraine-Krieg und dem Nahostkonflikt alles entwickelt hat. Die Situation ist sehr angespannt. Und sie kann durchaus noch schlimmer werden. Auch deshalb finde ich es richtig, über Möglichkeiten zur Begrenzung von Polarisierung intensiv zu diskutieren. Wichtig ist, dass wir Signale setzen. Kommunalpolitiker zeigen Angriffe nämlich nur in etwa 11 Prozent der Fälle an. Das ist viel zu wenig. Es fehlt offenbar das Vertrauen.

Vertrauen zu wem?

Vertrauen, dass bei den Ermittlungen etwas herauskommt. Deshalb müssen wir das Signal senden, dass die Strafverfolgungsbehörden fähig sind, solche Straftaten konsequent zu verfolgen. 20 Prozent der befragten Kommunalpolitiker überlegen, ob sie ihr Amt aufgrund von Anfeindungen niederlegen oder nochmal antreten. Das ist ein hoher Wert.

Kommunalpolitiker sind überwiegend schutzlos.

Die Polizeien versuchen im Rahmen des Möglichen, situativen Schutz herzustellen. Aber man kann natürlich nicht Personenschutz für jedermann organisieren. Und man muss sich auch mal überlegen, was das für ein demokratisches System am Ende bedeuten würde, wenn es erforderlich wäre. Im Übrigen müssen wir alles tun, den Wert politischer Ämter und Ehrenämter hervorzuheben. Das ist dringend nötig. Letztlich lebt das demokratische Gemeinwesen von solchem Engagement.

Kommen wir zur organisierten Kriminalität, etwa von Schleusern. Sind Grenzkontrollen ein geeignetes Mittel dagegen?

Die Anzahl der Feststellungen ist mit den Kontrollen in die Höhe gegangen. Allerdings müssen wir uns nicht zuletzt um die Netzwerke der Schleuser kümmern. Es geht also darum, solche Ermittlungen entlang der
Schleusungsrouten in internationaler Kooperation zu führen. Das kann sehr erfolgreich sein und gerade die Bundespolizei ist hier sehr aktiv.

Wie groß ist die Schleuserszene?

Wir haben im vorigen Jahr rund 4000 Tatverdächtige gezählt. Das ist ein Plus von 25 Prozent gegenüber dem Vorjahr.

In Belgien und den Niederlanden ist die organisierte Kriminalität zu einer Bedrohung für den Staat herangewachsen. Wird es in Deutschland ähnliche Zustände geben?

Wir haben über dekryptierte Daten ein besseres Bild über Taten und Täter im Bereich der Rauschgiftkriminalität erhalten. Und wir tauschen uns dazu auch mit unseren europäischen Partnern aus. Im Bereich der organisierten Kriminalität sehen wir die meisten Gewaltdelikte immer dann, wenn es um Rivalitäten zwischen Gruppierungen geht, die Rauschgifthandel betreiben. Allerdings ist dieses Phänomen in Belgien und denNiederlanden noch deutlich ausgeprägter als bei uns. Daher haben wir einen Schwerpunkt auf die Bekämpfung der Rauschgiftkriminalität gelegt, entlang der gesamten Logistikroute, von Südamerika ausgehend, den Import über die deutschen Seehäfen und die Weiterverteilung innerhalb von Deutschland und in europäische Staaten – mit entsprechenden Erfolgen. Ziel ist, den Handel mit illegalen Drogen so weit wie möglich zu verhindern und kriminelle Strukturen zu zerschlagen. Denn es geht bei Rauschgiftkriminalität um unglaublich hohe Summen. Der Wert von Kokain beispielsweise steigt auf dem Weg von Südamerika zum Konsumenten in Europa um ein Vielfaches. In einigen Fällen werden hier be
wusst junge Menschen angewor ben, die für relativ wenig Geld Gewalttaten begehen. Dieses Problem gehen wir aktiv an, insbesondere um ein Überschwappen der Gewaltkriminalität aus anderen europäischen Staaten
zu verhindern.

Belgiens Justizminister musste an einem geheimen Ort versteckt werden, weil man seine Entführung befürchtete. Kann das hier auch passieren?

Wir dürfen jedenfalls nicht nachlassen, so etwas von vornherein zu unterbinden. Denn wenn wir ein so großes Problem wie in Belgien oder den Niederlanden erst einmal haben, dann wird es umso schwerer, das wieder zurückzudrehen.

Die Vorratsdatenspeicherung bekommen Sie nicht. Das BKA soll dafür künftig KI zur Suche nach Gesichtern im Internet nutzen dürfen. Wird Ihnen das helfen?

Ja, absolut. Die Gesichtserkennung wird immer besser. Wir haben gerade erst vor zwei Wochen ein neues System eingeführt für die Polizei in Deutschland – zum Abgleich von Lichtbildern mit unserer eigenen Datei. Was wir jetzt schon sehen, ist ein enormer Qualitätssprung. Wir können Identifizierungen durchführen mit Lichtbildern von Altersunterschieden bis zu 30 Jahren. Damit könnten wir viel sicherer auch nach Verdächtigen fahnden mit Bildern, die öffentlich zugänglich sind. Bisher tun wir das nicht. Der Fall der RAF-Terroristin Daniela Klette war ein Beispiel dafür, was heute möglich wäre. Wir wollen das so grundrechtsschonend wie möglich umsetzen. Dass wir diese Befugnis voraussichtlich bekommen, ist ein wichtiger Schritt voran.

Ist die Methode denn mit dem Datenschutz vereinbar? Der größte Anbieter solcher Dienstleistungen für Behörden, Clearview AI, wurden in den Niederlanden zu einer Strafe von mehr als 30 Millionen Euro verurteilt. Die Datenbank aus Milliarden biometrischen Fotos sei illegal, hieß es.

Die Strafe kam daher, dass die KI-Verordnung ein solches Geschäftsmodell für Europa verbietet. Wir reden aber für Deutschland nicht von einem Geschäftsmodell, sondern von einer staatlichen Eingriffsbefugnis.

Das heißt: Sie würden das, was Clearview macht, selbst machen – indem Sie eine Datenbank anlegen.

Ich bin da ergebnisoffen. Wir werden das noch weiter diskutieren müssen. Am Ende sollte es eine grundrechtsschonende Lösung geben.