Politischer Bedarf, Ziele und Inhalte der Befragung
Politischer Bedarf und Ziele der Befragung
Um Kriminalität effektiv begegnen und wirksame Kriminalprävention leisten zu können, sind möglichst umfassende Kenntnisse über das aktuelle Kriminalitätsaufkommen und die Entwicklung der Kriminalität in Deutschland erforderlich. Bislang ist das anhand der Polizeilichen Kriminalstatistik nur teilweise möglich. Denn in dieser wird lediglich das sogenannte Hellfeld erfasst, also jene Straftaten, die entweder bei der Polizei angezeigt wurden oder der Polizei im Zuge eigener Ermittlungen bekannt geworden sind. Demgegenüber liegen im sogenannten kriminalstatistischen Dunkelfeld die Straftaten, die der Polizei nicht bekannt sind.
Regelmäßige Opferbefragungen stellen eine notwendige Bedingung dar, um das Ausmaß dieses Dunkelfeldes und damit des gesamten Kriminalitätsaufkommens wie auch der Kriminalitätsentwicklung angemessen einschätzen zu können. Hierfür wird eine repräsentative Stichprobe der Bevölkerung nach ihren Erfahrungen mit ausgewählten Kriminalitätsformen befragt und erhoben, welche dieser Opfererlebnisse polizeilich bekannt wurden. Die Ergebnisse werden mit Hilfe statistischer Methoden auf die Gesamtbevölkerung hochgerechnet. Dabei dienen Informationen über die Anteile von Personen, die innerhalb eines bestimmten Zeitraums Opfer ausgewählter Straftaten wurden (z. B. Wohnungseinbruch, Diebstahl von Fahrzeugen, Körperverletzung innerhalb des letzten Jahres), dazu, Aussagen über die Verbreitung verschiedener Kriminalitätsformen zu treffen. Durch die Berechnung des Verhältnisses zwischen polizeilich bekannt und nicht bekannt gewordenen Fällen können Rückschlüsse auf die Hell-Dunkelfeld-Relation verschiedener Delikte in der Bevölkerung getroffen werden.
Ein weiterer Mehrwert von nationalen Dunkelfeldstudien besteht in der nachhaltigen Verbesserung der Datenbasis im bevölkerungsreichsten Mitgliedsstaat der EU, und zwar für nationale Akteure der Sicherheitsarchitektur, die international vernetzt arbeiten, aber auch für supranationale und internationale Akteure der Sicherheitsarchitektur, z. B. der EU-Ebene, ebenso wie für die europäische Wissenschaftscommunity. Dies kann als evidenzbasierte Grundlage für nationale und supranationale kriminal- und sicherheitspolitische Entscheidungen zur Prävention und/oder Repression von Kriminalität dienen.
Inhalte der Befragung
Die Dunkelfeldbefragung „Sicherheit und Kriminalität in Deutschland“ (SKiD) ist als sogenannter „Crime Survey“ konzipiert, dessen Schwerpunkt in der Aufhellung des kriminalstatistischen Dunkelfeldes liegt. Die für die Studie zufällig ausgewählten Bürgerinnen und Bürger werden dafür nach möglichen Erfahrungen als Opfer einer Straftat befragt. Aber auch Informationen zum Sicherheitsgefühl sowie Einstellungen gegenüber und Erfahrungen mit der Polizei finden Berücksichtigung. Insgesamt werden in SKiD folgende Inhalte erhoben und Ziele verfolgt:
1. Kriminalitätslage und -entwicklung in Deutschland
Für die Prävention und Bekämpfung von Kriminalität sind Kenntnisse über die Kriminalitätslage und -entwicklung wesentlich. Sie bilden eine wichtige Grundlage für kriminalpolitische und -strategische Entscheidungen. Bereits seit 1953 führen Bund und Länder daher die Polizeiliche Kriminalstatistik (PKS), auf Basis derer Aussagen zu Fällen, Tatverdächtigen sowie bedingt auch zu Opfern von Straftaten getroffen werden können. Die PKS ist aufgrund ihrer Beschränkung auf das statistische Hellfeld in ihrer Aussagekraft begrenzt. Der Umfang des Dunkelfeldes, also jener Delikte, die der Polizei nicht bekannt geworden sind, hängt von der Art des Deliktes ab und ändert sich unter dem Einfluss variabler Faktoren (z. B. Anzeigeverhalten, polizeiliche Kontrolle). Für aussagekräftige Informationen über das Kriminalitätsaufkommen und damit über die Sicherheitslage Deutschlands stellen Dunkelfeldstudien wie Opferbefragungen eine wichtige Ergänzung der PKS dar.
In der Bevölkerungsbefragung SKiD werden Opfererlebnisse bezüglich verschiedener Delikte erhoben, zum Beispiel: Kraftfahrzeugdiebstahl, Kraftfahrzeugbeschädigung, Fahrraddiebstahl, vollendeter und versuchter Wohnungseinbruchdiebstahl, Sachbeschädigung, Betrug, Schädigungen durch Schadsoftware, Onlinebankingbetrug, Identitätsdiebstahl, Raub, Bedrohung, Körperverletzung, Beleidung, sexuelle Belästigung und Vergewaltigung.
2. Anzeigeverhalten
Für die Berechnung von Hell- Dunkelfeldrelationen bedarf es der Kenntnis, welche Opfererlebnisse der Polizei bekannt wurden und welche nicht. Da ein Großteil der in der PKS registrierten Straftaten durch Anzeigen aus der Bevölkerung bekannt wird, lässt sich das Ausmaß des kriminalstatistischen Dunkelfeldes über die Erfassung des Anzeigeverhaltens schätzen. Um auch Erkenntnisse über die Struktur des Dunkelfeldes zu erhalten und Ansatzpunkte zu schaffen, um die Anzeigebereitschaft der Bevölkerung zu steigern, werden bei SKiD auch die Gründe für und gegen eine Anzeige erhoben.
3. Sicherheitsgefühl und die Kriminalitätsfurcht in der Bevölkerung
Von kriminalpolitischer und -strategischer Bedeutung ist auch das subjektive Sicherheitsempfinden der Bevölkerung. Denn nicht nur die tatsächliche Schädigung durch Kriminalität, sondern auch die Angst davor können weitreichende Folgen haben, z. B. durch eine geringere Beteiligung am öffentlichen Leben oder durch das Meiden bestimmter Orte. Kriminalitätsfurcht kann außerdem dazu führen, dass das Vertrauen der Bevölkerung in den Rechtsstaat gemindert wird. Es liegt entsprechend im Interesse der Polizei, dass die Bevölkerung sich sicher fühlt. Um diesbezüglich zielführende Maßnahmen zu entwickeln und umzusetzen, bedarf es der Kenntnisse über die Ursachen und die Entwicklung der Kriminalitätsfurcht in der Bevölkerung. In SKiD werden daher unterschiedliche Dimensionen der Kriminalitätsfurcht erfasst:
- das allgemeine Sicherheitsgefühl (sowohl tagsüber als auch nachts an verschiedenen Orten),
- die deliktspezifische emotionale Kriminalitätsfurcht (vor konkreten Delikten wie Diebstahl, Körperverletzung, sexueller Belästigung etc.),
- die deliktspezifische kognitive Kriminalitätsfurcht (also die Einschätzung der Wahrscheinlichkeit, Opfer einer konkreten Straftat wie Diebstahl, Körperverletzung oder sexuelle Belästigung zu werden),
- die konative Kriminalitätsfurcht (d. h. die konkreten Maßnahmen, die zum Schutz vor Kriminalität getroffen werden).
4. Erfahrungen mit und die Bewertung der Polizei durch die Bevölkerung
Die Polizei spielt als verantwortliche Behörde für die Aufrechterhaltung der öffentlichen Sicherheit eine zentrale Rolle in der Gesellschaft. Da sie zur Gewährleistung ihrer Aufgaben außerdem mit besonderen Befugnissen ausgestattet ist, stellt das Vertrauen in die Polizei eine wesentliche Grundlage für das Funktionieren des demokratischen Rechtstaates dar. Kenntnisse über Erfahrungen mit und die Bewertung der Polizei seitens der Bevölkerung eröffnen der Polizei Möglichkeiten der Selbstreflektion und der Feststellung von Handlungsbedarfen.
In SKiD werden verschiedene Fragen zur Meinung über die Polizei und deren Arbeit gestellt. Darüber hinaus werden Kontakterfahrungen mit der Polizei sowie deren Bewertung erhoben.
Projekthintergründe
Das fachliche Bedürfnis für regelmäßige Dunkelfeldbefragungen ist bereits seit mehreren Jahrzehnten anerkannt. Während viele europäische Länder bereits seit mehreren Jahren regelmäßige, die polizeiliche Hellfeldstatistik ergänzende Dunkelfeldbefragungen durchführen (etwa die Niederlande, England und Wales, Schottland, Frankreich und Schweden), lagen in Deutschland lange Zeit nur sehr vereinzelt, zum Teil regional und inhaltlich begrenzte, Befragungen vor. Die Bemühungen um eine nationale Dunkelfeldbefragung nahmen insbesondere durch die Koalitionsvereinbarungen von SPD und Grünen Ende 1998 deutlich zu. Hintergrund waren auch die Vorbereitungen für einen Periodischen Sicherheitsbericht (PSB) (für weitere Details vgl. Mischkowitz, 2015: Betrachtung zur Geschichte der Dunkelfeldforschung in Deutschland. In: Guzy/Birkel/Mischkowitz: Viktimisierungsbefragungen in Deutschland, Band 1, Ziele Nutzen und Forschungsstand).
2001 wurde deshalb die Arbeitsgruppe „Bevölkerungsumfrage zu Kriminalitätserfahrungen und Sicherheitsempfinden – BUKS“ eingerichtet, die Ende 2002 ein umfassendes Konzept für eine periodisch angelegte bundesweite Dunkelfeldbefragung vorlegte. Die Umsetzung des Konzepts scheiterte allerdings an den hohen Kosten. Auch der Versuch Ende 2005, einige kostensparende Änderungen an dem BUKS-Konzept vorzunehmen, führte nicht zum gewünschten Erfolg.
Vor diesem Hintergrund hatte die AG Kripo im Juni 2006 eine Bund-Länder-Projektgruppe (BLPG) beauftragt zu prüfen, wie sich eine bundesweite, periodische Dunkelfeldbefragung mit Auswertemöglichkeiten auf Ebene der Länder realisieren lässt. Die eingerichtete BLPG „Periodische Dunkelfeld-Opferbefragung“ entwickelte im Verlaufe ihrer Arbeit ein Konzept, das eine bundesweite, computergestützte telefonische Befragung (Computer Assisted Telephone Interview – CATI) mit einem Umfang von 30.000 Interviews zuzüglich individueller Aufstockungen in interessierten Bundesländern vorsah. Auch die Umsetzung dieses Konzeptes konnte allerdings – in erster Linie aufgrund der zu erwartenden Kosten – nicht realisiert werden.
Da die Umsetzung einer gemeinsamen bundesweiten Dunkelfeldbefragung von Bund und Ländern nicht absehbar war, beteiligte sich das BKA von 2009 bis 2013 an dem Konsortialprojekt „Barometer Sicherheit und Deutschland – BaSiD“. In dessen Rahmen konnte das Bundeskriminalamt gemeinsam mit dem Max-Planck-Institut für ausländisches und internationales Strafrecht Freiburg erstmalig die bundesweite repräsentative computergestützte telefonische Dunkelfeldbefragung „Deutscher Viktimisierungssurvey 2012“ mit einem Stichprobenumfang von mehr als 35.000 Personen umsetzen. Die Finanzierung erfolgte über das Programm "Forschung für die zivile Sicherheit" der Bundesregierung. Interessierte Bundesländer konnten ihre Teilstichprobe aufstocken, um verlässlichere Aussagen für das jeweilige Land zu gewinnen. Diese Möglichkeit wurde von den Ländern Berlin, Brandenburg, Hessen, Hamburg und Sachsen in Anspruch genommen.
Die bundesweite Dunkelfeldbefragung wurde mit dem „Deutschen Viktimisierungssurvey 2017“ aufgrund eines entsprechenden Auftrages des Bundesinnenministeriums durch das BKA repliziert, wobei eine Kofinanzierung aus dem Fonds für die Innere Sicherheit der EU (ISF) erfolgte. Eine Beteiligungsmöglichkeit für interessierte Bundesländer konnte aufgrund der zeitlichen Dringlichkeit der Replikation nicht verwirklicht werden.
Zeitlich parallel mit der Umsetzung der beiden bundesweiten Dunkelfeldbefragungen begannen auch einzelne Bundesländer mit der Durchführung eigener Viktimisierungssurveys:
- In Nordrhein-Westfalen wurden zwischen 2007 und 2011 im Rahmen des Kriminalitätsmonitors NRW bereits drei computergestützte telefonische Erhebungen zu Opfererlebnissen mit jeweils mehreren tausend Befragten durchgeführt. Im Herbst 2019 führte das Land eine Erhebung zu Sicherheit und Gewalt durch.
- Das Landeskriminalamt Niedersachsen hat seit 2013 vier Wellen des schriftlich-postalischen Viktimisierungssurvey in Niedersachsen durchgeführt, die fünfte startete im Mai 2023. Bei der vierten Welle 2021 konnten zuletzt über 17.500 Interviews realisiert werden.
- Das Landeskriminalamt Mecklenburg-Vorpommern und das Landeskriminalamt Schleswig-Holstein haben jeweils Anfang 2015 einen schriftlich-postalischen Viktimisierungssurvey mit ca. 3.200 bzw. ca. 13.000 erfolgreich befragten Personen durchgeführt. Schleswig-Holstein hat seine Befragung 2017 und 2019 wiederholt; Mecklenburg-Vorpommern 2018.
Aufgrund der Gefahr, dass sich die deutsche Dunkelfeldforschung zu einem Flickenteppich entwickelt, der keine Vergleichbarkeit zwischen den Bundesländern erlaubt und keine bundeseinheitlichen Ergebnisse produziert, wurde die Notwendigkeit und Dringlichkeit der Etablierung einer regelmäßigen, bundesweiten Dunkelfeldbefragung von der Arbeitsgemeinschaft der Leiter der Landeskriminalämter und des BKA (AG Kripo) auf ihrer Sondersitzung im Dezember 2016 erneut behandelt und im Nachgang Anfang 2017 eine Bund-Länder-Projektgruppe (BLPG) eingesetzt. Diese hatte den Auftrag, ein geeignetes Konzept zu erarbeiten. Das von der BLPG vorgelegte Konzept wurde im Herbst 2017 in den zuständigen Gremien behandelt und seine Umsetzung von der Ständigen Konferenz der Innenminister und -senatoren der Länder (IMK) im Dezember beschlossen.
Wer hat die Studie beauftragt?
Die Dunkelfeldstudie „Sicherheit und Kriminalität in Deutschland“ (SKiD) geht auf einen Beschluss der "Ständigen Konferenz der Innenminister und -senatoren der Länder" - kurz Innenministerkonferenz (IMK) – im Dezember 2017 zurück. Diese sprach sich für die Durchführung einer regelmäßigen bundesweiten Dunkelfeldbefragung in einem Turnus von perspektivisch zwei Jahren aus und legte die diesbezüglichen grundlegenden Modalitäten fest. Das BKA wurde als Zentralstelle mit der Umsetzung beauftragt und die Bundesländer um Beteiligung gebeten.
Wer führt die Studie durch und wer finanziert sie?
Die Dunkelfeldstudie „Sicherheit und Kriminalität in Deutschland“ (SKiD) ist eine Kooperationsstudie der Polizeien von Bund und Ländern. Innerhalb des BKA ist die Forschungsgruppe „Kriminalistisches Institut“, vertreten durch die „Forschungs- und Beratungsstelle Polizeiliche Kriminalstatistik (PKS), Dunkelfeldforschung“ mit der Durchführung der Studie betraut. Die konzeptionelle Entwicklung der Befragung erfolgte in enger Abstimmung zwischen dem BKA und den Expertinnen und Experten aus dem Bereich der polizeilich-kriminologischen Forschung aller 16 Bundesländer im Rahmen der Bund-Länder-Projektgruppe (BLPG) „Verstetigung einer bundesweiten Dunkelfeld-Opferbefragung“. SKiD soll künftig dauerhaft alle zwei Jahre wiederholt werden. Die Ausarbeitung der Befragung inklusive der Methodik erfolgte ebenfalls in enger Abstimmung zwischen BKA und den Bundesländern, ebenso die Entwicklung des Fragebogens, für die zusätzlich die Beratung externer Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler in Anspruch genommen wurde. Das BKA verantwortet die Auswertung der Bundesergebnisse, die jeweiligen Bundesländer übernehmen bundeslandspezifische Datenanalysen sowie gegebenenfalls die Entwicklung bundeslandspezifischer Fragebogeninhalte.
Die Studie SKiD wird aus Haushaltsmitteln des BKA und Haushaltsmitteln der Innenministerien der Bundesländer finanziert, die das Angebot einer Erhöhung der auf sie entfallenden Landesstichprobe nutzen. Die erste Befragung im Jahr 2020 (SKiD 2020) wurde zudem aus Mitteln des Fonds für die Innere Sicherheit durch die Europäische Union gefördert – dies gilt auch für die aktuelle, zweite Erhebungswelle SKiD 2024.
Zur Umsetzung von SKiD 2024 arbeitet das BKA, wie auch bereits bei der ersten Erhebungswelle SKiD 2020, mit dem Erhebungsinstitut infas – Institut für angewandte Sozialwissenschaft GmbH aus Bonn zusammen. infas übernimmt die Durchführung der Datenerhebung, d. h. die Umsetzung der Befragung inkl. Stichprobenziehung, Versand der Fragebögen und Erinnerungsschreiben, Einlesen der Rückläufe, Generierung eines Datensatzes. Auftraggeber für die Datenerhebung ist das Bundesministerium des Innern und für Heimat.