Aktuelle Entwicklungen
- Das Gewalt- und Bedrohungspotenzial von OK-Gruppierungen ist weiterhin hoch. Die Gewalt reicht von verbalen Drohungen über Geiselnahmen, Vergewaltigungen und Körperverletzungsdelikten bis hin zu Folterhandlungen und (versuchten) Tötungsdelikten. Sie richtet sich sowohl gegen die eigenen Mitglieder als auch gegen rivalisierende OK-Gruppierungen oder Personen außerhalb von OK-Gruppierungen, wie Familienangehörige. Auch Verfahrensbeteiligte werden bedroht, also ermittelnde Polizeikräften, Angehörige der Justizbehörden, Rechtsanwältinnen und -anwälte oder Zeuginnen und Zeugen.
- Eine große Herausforderung für die Strafverfolgungsbehörden bleibt die verschlüsselte Kommunikation, die von den Tätergruppierungen genutzt wird, um ihre Aktivitäten zu verschleiern. Damit ist die Auswertung kryptierter Telekommunikation ein zentraler Schlüssel für die Ermittlungen gegen die Organisierte Kriminalität. 2023 konnten in rund einem Viertel der OK-Ermittlungsverfahren wesentliche Ermittlungsergebnisse durch die Auswertung der kryptierten Telekommunikation gewonnen werden.
- OK-Gruppierungen setzen durch gezielte Einflussnahme auf Personen außerhalb der Gruppierung ihre kriminellen Interessen durch und gefährden damit staatliche, wirtschaftliche und gesellschaftliche Strukturen. Für das aktuelle Bundeslagebild wurde erstmals eine differenzierte Erhebung der Aspekte zu Einflussnahme und der Nutzung von Insiderinnen und Insidern erstellt. Hiervon betroffen waren sowohl Vertreterinnen und Vertreter staatlicher Institutionen wie der Justiz, der Polizei und der öffentlichen Verwaltung, Behördenmitarbeitende von Bau- und Ordnungsämtern oder Kfz-Zulassungsstellen, als auch Mitarbeitende an See- und Flughäfen, Angehörige von Medienanstalten, Wirtschaftsakteure, Rechtsbeistände oder Personen im Bereich der Kommunalpolitik.
- Neben der Organisierten Kriminalität befasst sich das Lagebild auch mit der sogenannten Schweren Strukturellen Kriminalität (SsK). Durch die erfolgreiche Entschlüsselung kryptierter Telekommunikation hat die deutsche Polizei einen umfänglichen Einblick in Aktivitäten krimineller Gruppierungen erhalten, die zwar nicht unter die Arbeitsdefinition OK fallen, allerdings für große Teile schwerer Kriminalität in Deutschland verantwortlich sind. Aufgrund bisheriger Erkenntnisse über beispielsweise den Grad der Gewaltbereitschaft, das organisierte Vorgehen und die kriminelle Energie solcher Gruppierungen messen die Strafverfolgungsbehörden der Bekämpfung der Schweren strukturellen Kriminalität eine hohe Bedeutung bei. Daher arbeitet das Bundeskriminalamt derzeit an einer qualifizierten Umfangsschätzung, die im kommenden Jahr veröffentlicht werden soll.
Was ist Schwere Strukturellen Kriminalität?
Schwere strukturelle Kriminalität liegt vor, wenn sich mindestens drei Personen zusammengeschlossen haben und fortgesetzt (der Gruppe dienliche) Straftaten begehen, die einzeln oder in ihrer Gesamtheit von herausragender Bedeutung sind. Dies liegt im Regelfall vor, wenn eine erhebliche Beeinträchtigung des Sicherheitsgefühls der Bevölkerung oder eine empfindliche Störung des Rechtsfriedens eingetreten ist. Darüber hinaus sollte ein besonderes kriminelles Potenzial erkennbar sein.
Diese Strukturen weisen in der Regel eine flache Hierarchie auf, bei der eine sich anlassbezogen ändernde Gruppenzusammensetzung um einen beständigen, dominierenden Kern bildet. Die Struktur setzt sich häufig heterogen zusammen und basiert oft auf langjährigen persönlichen und kriminellen Beziehungsgeflechten. Die Tatbeteiligten finden sich, ausgerichtet an der jeweiligen Straftat, arbeitsteilig, nach Fähigkeit/Fertigkeit und auf Zeit mit dem Ziel der Profitmaximierung zusammen.
Zentrale Erkenntnisse
- Die Zahl der OK-Ermittlungsverfahren ist von 639 auf 642 im Vergleich zum Vorjahr leicht angestiegen.
- Hauptbetätigungsfeld der Organisierten Kriminalität in Deutschland bleibt der illegale Rauschgifthandel, insbesondere mit Cannabis und Kokain. Hinzu kommen Straftaten, die der Wirtschaftskriminalität zugerechnet werden – darunter Betrugs- oder Arbeitsdelikte, sowie in selteneren Fällen Eigentums- und Schleusungskriminalität.
- In rund einem Drittel aller OK-Verfahren spielen Geldwäscheaktivitäten eine Rolle. Es ist von einem sehr hohen Dunkelfeld auszugehen, da in vielen Fällen zwar die Art der Geldwäscheaktivität bekannt, aber das Volumen nicht bezifferbar ist. Die OK-Gruppierungen investierten ihre Gelder im Berichtsjahr überwiegend in Handelsgüter (58 %) und Immobilien (35 %).Im Jahr 2023 wurden 7.347 Tatverdächtige ermittelt, etwas mehr als im Jahr zuvor.
- Die Zahl der nichtdeutschen Tatverdächtigen stieg um rund acht Prozent auf 4.243 Personen. Ausschlaggebend hierfür war die Erstmeldung eines Verfahrens mit über 250 serbischen Tatverdächtigen. Im Bereich der Tatverdächtigen mit ungeklärter Staatsangehörigkeit ist ein Anstieg um rund 29 Prozent auf 695 Tatverdächtige zu verzeichnen. Dies ist insbesondere auf ein Verfahren aus dem Bereich Cybercrime zurückzuführen, bei dem 250 Tatverdächtige mit ungeklärter Staatsangehörigkeit gemeldet wurden. Insbesondere im Bereich Cybercrime ist die Identifizierung von Tatverdächtigen auf Grund der Tatbegehung im virtuellen Raum schwierig. Insgesamt sind 65 Prozent der ungeklärten Tatverdächtigen dem Bereich Cybercrime zuzuordnen.
- Weiterhin gilt, dass Organisierte Kriminalität nach wie vor grenzüberschreitend stattfindet: In rund 70 Prozent der OK-Verfahren agieren die OK-Gruppierungen international. Die große Anzahl an OK-Verfahren mit Bezügen insbesondere ins europäische Ausland verdeutlicht, dass die europäische und weltweite Zusammenarbeit von Strafverfolgungsbehörden von besonderer Bedeutung ist.
- Die Schadenssumme, die durch Organisierte Kriminalität im Jahr 2023 verursacht wurde, stieg auf 2,7 Milliarden Euro. Das entspricht einer Verdoppelung im Vergleich zum Vorjahr und ist die höchste Schadensumme der vergangenen zehn Jahre.
- Die Summe des gesicherten kriminellen Vermögens ist von 228 Millionen Euro auf 83 Millionen Euro deutlich zurückgegangen. Dies liegt einerseits an der hohen Zahl von Erstmeldungen im Jahr 2023. Das bedeutet, dass viele Ermittlungsverfahren im Berichtszeitraum noch am Anfang standen und verdeckt geführt wurden, was umfängliche Vermögenssicherungen zunächst ausschließt. Weitere Gründe können beispielsweise sein, dass der Verbleib des Vermögens nicht geklärt ist, das Geld durch die Täter bereits ausgegeben wurde oder keine Anordnung durch die Staatsanwaltschaft/Justiz vorlag.
Definition der Organisierten Kriminalität in Deutschland
Organisierte Kriminalität ist die von Gewinn- oder Machtstreben bestimmte planmäßige Begehung von Straftaten, die einzeln oder in ihrer Gesamtheit von erheblicher Bedeutung sind, wenn mehr als zwei Beteiligte auf längere oder unbestimmte Dauer arbeitsteilig
a) unter Verwendung gewerblicher oder geschäftsähnlicher Strukturen
b) unter Anwendung von Gewalt oder anderer zur Einschüchterung geeigneter Mittel
oder
c) unter Einflussnahme auf Politik, Medien, öffentliche Verwaltung, Justiz oder Wirtschaft
zusammenwirken.
Schwerpunkte in der Strafverfolgung
Um die Organisierte Kriminalität wirksam bekämpfen zu können, ist eine nationale und internationale Zusammenarbeit unerlässlich. Für Deutschland hat das BKA daher die Gemeinsame Plattform der OK-Bekämpfung (GPOK) aufgebaut und entwickelt diese weiter. Sie dient Bund und Ländern als Informationsdrehscheibe zur Optimierung der Kooperation im föderalen Verbund. So können neue Modi Operandi schneller erkannt und Schwerpunktthemen für die Strafverfolgung durch einen flexibilisierten, anlassbezogenen und operativen Austausch gesetzt werden.
Zudem wird die internationale Zusammenarbeit weiter intensiviert, insbesondere durch eine enge Einbindung von Europol sowie der Verbindungsbeamtinnen und -beamten des BKA. Um den Kampf gegen den Drogenschmuggel bereits an der Quelle zu verstärken und die internationalen Ermittlungen zu intensivieren, gibt es seit 2023 eine engere Kooperation mit europäischen und lateinamerikanischen Staaten. Im Rahmen dieser Kooperation wurde ein gemeinsames Hafensicherheitszentrum in Hamburg eingerichtet, um eine dauerhafte und enge Vernetzung zwischen allen Akteuren sicherzustellen und den Informationsaustausch zu verbessern.
Neben der operativen Komponente zur Bekämpfung der Organisierten Kriminalität gewinnt auch die strategische Auswertung zunehmend an Bedeutung, um detaillierte Einblicke in Strukturen krimineller Netzwerke zu erhalten und daraus effektive Bekämpfungsstrategien abzuleiten oder weiterzuentwickeln. So hat Europol im Jahr 2024 in Zusammenarbeit mit allen EU-Mitgliedstaaten und einigen mit Europol verpartnerten Staaten erstmalig den Bericht „Decoding the EU’s most threatening criminal networks“ veröffentlicht, der sich mit den gefährlichsten kriminellen Netzwerken, ihrer Zusammensetzung, Reichweite und ihrem Gefährdungspotenzial befasst.